Andrea Schorta

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Dr. Andrea Schorta, 1943 Ziele der Orsnamenkunde

Dr. Andrea Schorta, 2.4.1905 - 12.12.1990

  • 1933-39 Sekretär der Lia Rumantscha.
  • 1939-64 Für das Rätische Namenbuch (2 Bde) sammelte er die Orts- und Flurnamen sowie die Familiennamen Graubündens
  • 1935-75 Redaktor bzw. Chefredaktor des "Dicziunari Rumantsch Grischun"
  • 1965-69 Herausgeber der Rechtsquellen des Kt. Graubünden
  • 1980-85 Herausgeber der vier Bände zu den Statuten der Gerichtsgemeinden.
  • Er setzte sich für die Bauernhausforschung in Graubünden ein und verfasste zahlreiche Schriften zur Sprachpolitik, Sprachgeschichte und Ortsnamenforschung.
  • Mehrere Auszeichnungen, u.a. 1977 Bündner Kulturpreis, 1964 Dr. h.c. der Univ. Bern, 1990 der Univ. Innsbruck.


Der Burgenverein Untervaz hat im Oktober 2013 im Rahmen «Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz» auf ihrer Webseite den Vortrag Ziele der Ortnamenkunde von Dr. Andrea Schorta veröffentlicht, den er im Juni 1943 anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung in der Schweizerischen Landesbibliothek zum Thema "Schweizerische Sprachforschung" gehalten hat. Veröffentlichung des Originaltextes: LITTERIS ET PATRIAE - SCHWEIZERISCHE SPRACHFORSCHUNG, Katalog einer Ausstellung der Schweizerischen Landesbibliothek, Verlag Herbert Lang & Cie. Bern 1943


Der Vortrag ist auch heute noch sehr interessant. Er befasst sich unter anderem mit:

  • Auswahl der Lokalnamen für die Landeskarte (vgl. Zitat 1)
  • Schreibweise der Lokalnamen im Topografischen Altas der Schweiz (vgl. Zitat 2)
  • Stand 1943 betreffend Grundsätzen zur Schreibung der Lokalnamen, wo Dr. Andrea Schorta als persönlicher Beitrag einige Gedanken dazu äussert (vgl. Zitat 3)


Hintertergund: Im Bundesratsbeschluss über die Erhebung der Schreibweise der Lokalnamen bei Grundbuchvermessungen vom 22. Februar 1933 wird die Gründung von kantonalen Nomenklaturkommissionen verlangt, die die Erhebung und die Schreibweise der Lokalnamen auf Grund der vom Eidg. Justiz- und Polizeidepartement aufgestellten Grundsätze regeln müssen. Dr. Andrea Schorta hatte damals auch die Gründung einer eidgenössischen Nomenklaturkommission propagiert und hat sich für die Kompromisslösung Weisungen 1948 eingesetzt, welche als Weisungen 2011 fortbesteht.


Zitat 1: Auswahl der Lokalnamen für die Landeskarte

Seite 27

Man darf die Bemühungen um eine systematische Sammlung der Flurnamen in der Schweiz nicht erwähnen, ohne auch der Mitarbeit der Landestopographie als Herausgeberin des topographischen Atlas, und der Vermessungsdirektion zu gedenken. Durch unsere auf hohem Niveau stehenden Karten und Pläne sind der Wissenschaft nach der Schätzung des heute unter uns weilenden Herrn Prof. Imhof rund 300'000 Namen zugeführt worden. Den Wert dieses Namenschatzes richtig und voll zu würdigen, hatte ich mehrfach Gelegenheit, als mir in den Jahren 1935-39 durch das Eidg. Grundbuchamt eine grössere Anzahl von Listen für die Ergänzung der Materialien für das Rätische Namenbuch zur Verfügung gestellt wurden.

Je mehr sich die Toponomastik aus der Enge der Studierstube befreit und die Terrainforschung als eigentliche Voraussetzung für fruchtbare Arbeit anerkennt, desto enger gestaltet sich auch ihr Verhältnis zur eigentlichen Kartographie. Für den Kartenredaktor können aber die Namen nicht Selbstzweck sein. Ich verstehe den Zeichner sehr gut, der einen Stich ins Herz verspürt, wenn sein glücklich vollendetes Kunstwerk mit einer Namenplatte überdruckt werden soll, die so viele der mit unendlicher Geduld ausgearbeiteten Details wieder unter Druckerschwärze begräbt oder zum mindesten empfindlich stört. Er wird also, sofern nicht wie bei den Grundbuchplänen gesetzliche Vorschriften die Erhebung und Berücksichtigung eines grösseren Namenschatzes vorschreiben, die Beschriftung der Karte auf ein erträgliches Mass von Flurnamen beschränken. Vollständige Namenkarten zeichnet er nicht, er wählt aus dem ihm im Verkehr mit der einheimischen Bevölkerung bekannt gewordenen Namenschatz das heraus, was den Wert der Karte als Orientierungsmittel erhöht, vor allem also Siedlungsnamen: Dorf-, Weiler-, Hofnamen, dann Namen von Maiensässen und Alpen, von Tälern und Töbeln, Bächen, Flüssen, Seen. Er wird, wie es recht und billig ist, den lokalen Bedürfnissen Rechnung tragen und dementsprechend im Fremdenkurort die Namen etwas anders wählen als im anspruchslosen Bauerndorf und wieder anders als im grossen Industrieort oder in der Grosstadt. Schon diese Arbeit der Sichtung, des Abwägens und Ausscheidens ist aber Qualitätsarbeit und setzt eine gewisse Vertrautheit des Geometers mit Nomenklaturproblemen voraus. Ich habe in den beinahe 20 Jahren intensiver Benutzung von offiziellen Karten nie das Gefühl gehabt, die Wahl der Namen sei irgendwo grundsätzlich zu revidieren. Gelegentliche zu weitgehende Konzessionen an die Touristik sind in den neuesten Auflagen des Topographischen Atlas grösstenteils wieder rückgängig gemacht worden.


Zitat 2: Schreibweise der Lokalnamen im Topografischen Altas der Schweiz

Seite 31


Eine wichtige Frage, ja wir dürfen wohl sagen das Kernproblem der schweizerischen Kartennomenklatur, um das sich seit 30 Jahren das Interesse weitester Kreise dreht, ist damit aber noch nicht gelöst, das Problem: Schriftsprache und Mundart.

Wer eingeladen wird, vor einem so auserlesenen Kreis von Fachleuten über die Ziele der Ortsnamenkunde der Schweiz mit besonderer Berücksichtigung der Kartennomenklatur zu sprechen, würde seine Aufgabe verkennen, wenn er es unterliesse, dieser noch nicht klar gelösten Frage seine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Zur Diskussion über Detailfragen der Schreibung unserer schweiz. Kartennomenklatur kann ich nichts Neues beitragen, denn:

  1. ist ein Romanist und Rätoromane eigentlich nur für Romanisch Bünden voll zuständig,
  2. dürfte der heutige Vortrag, mit dem Sie die Besichtigung der Ausstellung einzuleiten wünschen, nicht die geeignete Gelegenheit dazu bieten.


Dagegen darf ich wohl mit Ihrer Zustimmung rechnen, wenn ich in allgemeinen Umrissen den gegenwärtigen Stand der Dinge zeichne und als persönlichen Beitrag einige Gedanken zur Sache äussere:

Das Problem ist für die ganze Schweiz akut: am stärksten für die deutsche Schweiz, am schwächsten für das rätoromanische Graubünden, wo von einer Kluft zwischen Schriftsprache und Mundart nicht die Rede sein kann. Für die Romanen war es denn auch ein Leichtes, das Ziel vorzuzeichnen und den Weg sofort einzuschlagen. Eine wesentliche Erleichterung bedeutete es für uns, in unseren Bestrebungen die volle Unterstützung der zuständigen kantonalen und eidgenössischen Behörden zu geniessen.

Ungemein dornenvoller und mühsamer ist der Pfad, den die deutsche Schweiz zu durchwandern hat, bis die neue Landeskarte auch in dieser Hinsicht -- wie sich der Topograph ausdrückt ein absolut tatsachentreues, zuverlässiges Orientierungsmittel ist.

Der heutige Zustand der Kartennomenklatur, den Sie, verehrte Herren, sehr gut kennen, ist nicht das Produkt von Willkür und Richtungslosigkeit, sondern muss, um gerecht beurteilt zu werden, als Ausdruck eines bestimmten Zeitgeistes betrachtet und gewürdigt werden.

Unser Siegfriedatlas entstand in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Sprachlich betrachtet ist dies die Zeit, in der das Hochdeutsche, unsere nun einmal gewählte deutsche Schriftsprache, in weite Gebiete des normalen öffentlichen Lebens wie Predigt, Schule, Versammlungen, Sitzungen eindrang. Es ist die Zeit, da man vom nahen Untergang des Schweizerdeutschen völlig überzeugt war. Sogar das Schweizerdeutsche Idiotikon wurde vorwiegend als Grabmal der absterbenden Mundart empfunden. «Wer könnte die Verwesung aufhalten, und wer wollte so töricht sein, seine Kraft gegen einen gewaltigen Naturprozess zu stemmen?» schrieb die Redaktion im Prospekt von 1880. «Das war», so schreibt Robert von Planta, «die Zeit des resignierten Fatalismus, wo der naturwissenschaftliche Begriff des Kampfes ums Dasein, des hoffnungslosen Unterliegens des Schwächeren auf alles Geistige abfärbte.» In diese Zeit wurde das grosse patriotische Werk, unser Topographischer Atlas, hineingeboren. Mit der Kraft des vorwärtsschauenden Gipfelstürmers haben die Männer von damals Blatt an Blatt gereiht und mit ihrem hinreissenden Glauben an eine neue Zeit alles, vom einfachen Messgehilfen bis zum jungen Eisenbahningenieur in ihren Bann gezwungen.

Im Bestreben um eine Kartennomenklatur, die tatsachentreues, gegenwartsgebundenes Orientierungsmittel sein sollte, haben sie den Weg eingeschlagen, den wir kennen. Sie hatten zwischen der von kompetentester Seite als unrettbar verloren erklärten Mundart und dem durch tausend Türen eindringenden Hochdeutsch zu wählen und stellten sich auf die Seite, der die Zukunft zugesprochen wurde. So fügte sich die deutschschweizerische Kartennomenklatur jenem Zeitgeist, der auch die unvergänglichen Werke unseres Jeremias Gotthelf, in den nach seinem Tod von fremder Hand besorgten Ausgaben, in ein anderes sprachliches Gewand kleiden wollte. Die Zeit war zu den nötigen Erkenntnissen und Auffassungen inbezug auf den Wert des Schweizerdeutschen, wie der Patois romands noch nicht reif.

Als mit dem neuen Jahrhundert allmählich eine andere Einstellung sich Bahn brach: die Besinnung auf den Wert der Muttersprache, die Überzeugung, dass diese Sprache noch genug Lebensenergien in sich birgt, um weiterhin Trägerin des eidgenössischen Geistes und Symbol des schweizerischen Unabhängigkeitswillens zu sein, stand der Topographische Atlas als vollendetes Werk da.


Zitat 3: Grundsätze zur Schreibung der Lokalnamen

Seite 36 (Punkt c)


Einen wertvollen, von viel Verständnis auch für den philologischen Standpunkt zeugenden Beitrag zur Diskussion über die Schreibweise der Flurnamen in der deutschen Schweiz hat mir kürzlich Herr Prof. Imhof in Zürich zur Verfügung gestellt. Gestatten Sie, dass ich ihn hier noch einschalte, da er, wie mir scheint, die Vorschläge der Geschichtsforschenden Gesellschaft praktisch zu erproben und so weitgehend wie möglich anzuwenden versucht. Prof. Imhof schreibt: Unter den Ortsnamen des Landes nehmen die Kantons-, Bezirks- und Gemeindenamen eine Sonderstellung ein. Sie sind durch kantonale Gesetze oder Erlasse festgelegt und können nur durch die kantonalen Regierungen abgeändert werden. Auch die Namen aller Bahn- und Poststationen sind in ähnlicher Weise fixiert. Viele dieser Namen weichen von den ortsüblichen Dialektformen ab, sind aber in dieser schriftlich fixierten sog. «Verkehrsform» ebenfalls allgemein bekannt und eingeführt. (Beispiele: Zürich für Züri, Glarus für Glaris, Bülach für Büli, Burgdorf für Burdlef, Rüschlikon für Rüeschlike, Iberg für Ibrig.) Die Bereinigung schlechter Formen solcher Namen ist nicht eine kartographische, sondern eine allgemein kulturelle Aufgabe, ebenso wie es nicht Aufgabe des Kartographen ist, schlecht geführte Strassen zu korrigieren!

Die Zuständigkeit aller übrigen Kartennamen steht leider in der Schweiz bis heute nicht eindeutig fest. Die Eidg. Landestopographie beansprucht für sich das Recht der Namensfestlegung im Gesamtgebiet der Schweiz für alle von ihr erstellten und herausgegebenen Kartenwerke. Die kantonalen Vermessungsämter anderseits bestimmen innerhalb der Kantone die Schreibweise auf den Plänen der Schweizerischen Grundbuchvermessung. Daraus ergeben sich gewisse Verschiedenheiten und Unsicherheiten. Diese beziehen sich vor allem auf die Fragen, wieweit Dialektformen in Schriftsprachformen zu übertragen und frühere Namensformen wieder herzustellen sind. Es sind hiebei folgende Gruppen auseinanderzuhalten:


a) Erläuternde Sachbezeichnungen, also nicht Eigennamen.

Beispiele: Kapelle, Spinnerei, Waisenhaus, Kaserne, SBB-Reparaturwerkstätte, Flugplatz, Erratischer Block, Kraftwerk. Hiefür versteht sich die Schriftsprache von selbst. Aber auch bei Übersichtsnamen, wie Burgundische Pforte, Schweizerisches Mittelland, St. Galler Rheintal.


b) Eigennamen, deren Dialekt- und Schriftsprachformen miteinander übereinstimmen. Beispiele: Sattel, Sand, Burg, Kaiserstock, Zimmerberg. Solche Namen geben zu keinen Diskussionen Anlass. Hierzu gehören auch die Namen, die nur in einer Form existieren und deren Übertragung in irgend eine von der ortsüblichen Sprechform abweichende Schreibform gar nicht möglich ist. Beispiele: Gütsch, Sedel, Albis, Schwalmis, Schliere(n), Gere(n), Schache(n), Napf, Zoller, Im Biswind, Forch, Heslibach, Titlis, Rigi, Glärnisch.


c) Eigennamen, die sowohl in einer gesprochenen Dialektform, wie auch in einer davon abweichenden, ebenfalls allgemein gebräuchlichen und vertrauten Schreibform existieren.

Beispiele: Tödi für Teedi, Reuss für Rüss, Rhein für Ri, Limmat für Limet, Ütliberg für Üetliberg, Lägern für Lägärà.


d) Eigennamen, die sich sehr leicht sinngemäss in die Schriftsprache übersetzen lassen und die in dieser letzteren Form ebenfalls allgemein gebräuchlich sind.

Beispiele: Weisshorn für Wisshorä (Wallis), Faulhorn für Fulhorn, Sonnenberg für Sunneberg, Käferberg für Chäferberg, Katzensee für Chazesee, Hausstock für Husstock, Grünhorn für Grüenhorn, Untere Mühle für Underi Müli, Erlenbach für Erlibach, Steinacker für Steiacher usw.


Für die Gruppen c) und d) kommt in der Karte nur die schriftsprachliche Form in Frage.


e) Grenz- und Zweifelsfälle:

Hier ist eine Regelung notwendig. Beispiele: Bühl - Büel, Brücke - Brugg, Rücken - Rugge, Rugg, Ecke - Eck - Egg, Fluh - Flue, Grube - Grueb, Matte - Matt, Weide - Weid.

Eigennamen mit solchen und ähnlichen Wortverbindungen sind im schriftlichen Verkehr und damit auch in der Karte bald in schriftsprachlicher, bald in Dialektform gebräuchlich. Fast ausschliessliche Verwendung findet der Dialekt für Verkleinerungsformen, wie Täli, Weidli, Sätteli, Flüeli, Brünneli, Mätteli, Löchli, deren hochdeutsche Schriftsprachformen äusserst schwerfällig wären. Mit Recht wird heute in allen Grenz- und Zweifelsfällen die Dialektform bevorzugt. Es ist dies ein Akt sprachlichen Heimatschutzes, ohne dass darunter die allgemeine Verständlichkeit der Eigennamen leiden würde.


Siehe auch


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