Rückänderungen der Schreibweise von Lokalnamen

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Hünikon Siegfriedkarte.jpg Hünikon LK1984.jpg

Hünikon und Holzhäusern in der Siegfriedkarte 1885

Schreibweisen bis 1945 unverändert

Hünikon und Holzhüseren in der Landeskarte 1957-1992

Holzhäusern wurde 1957 in Holzhüseren geändert

Hüünike LK1998.jpg Hünikon LK2004.jpg

Hüünike und Holzhüüsere in der Landeskarte 1998

Änderungen der Schreibweise gemäss Namenbuch

Hünikon und Holzhäusern zurückgeändert in der Landeskarte 2004

Schreibweisen entsprechend wieder der traditionellen Schreibweise

Rückänderungen der Schreibweise von Ortsnamen in der Thurgauer Gemeinde Amlikon-Bissegg in der Landeskarte 2004. Im Kanton Thurgau wurde am 28.5.2010 bekannt gegeben, dass weitere Rückänderungen im grösseren Rahmen erfolgen werden (Siedlungsnamen und Flurnamen mit grosser Bedeutung) vgl. hier

Ortstafel Holzhäusern.jpg Ortstafel Hünikon.jpg
  • Holzhüüsere wurde 2004 in der Landeskarte wieder in Holzhäusern zurückgeändert. Die Schreibweise der Ortstafel blieb unverändert.
  • Hüünike wurde 2004 in der Landeskarte wieder in Hünikon zurückgeändert (allerdings noch nicht in allen Massstabsebenen). Die Schreibweise der Ortstafel blieb unverändert.


Allgemeines

Begriffe

Rückänderungen der Schreibweise von Orts- und Flurnamen:

  • In diesem Kapitel geht es um das Rückgängigmachen veränderter Schreibweisen von Orts- und Flurnamen.


Beharrungsvermögen der Namen und starke Bindung der Bevölkerung an die Namen

vgl. Namenstreit im Thurgau, Ruedi Schwarzenbach, Zeitschrift SchweizerDeutsch 2/09 Seite 11


Entwicklung der Orts- und Lokalnamen ausserhalb der Karten

vgl. Entwicklung der Orts- und Lokalnamen ausserhalb der Karten, Eduard Imhof, Die Ortsnamen in den amtlichen Plänen und Karten


Wie kommt es zu Änderungen und zu Rückänderungen?

Bei der Überführung der Siegfriedkarte in die Landeskarte wurden ab ca. 1950 diverse Orts- und Lokalnamen in der deutschsprachigen Schweiz in eine mundartliche Schreibweise verändert. Vor allem wenn nicht nur Namen von geringer, lokaler Bedeutung geändert werden resp. wenn Änderungen nicht nur in eine moderate, sondern in eine ausgeprägt lautnahe Mundart erfolgten, stiessen die neuen Schreibweisen bei der Bevölkerung aber auch bei den betroffenen Behörden immer wieder auf grosse Opposition. Der Unmut und Ärger äusserte sich z.B. in:

  • Berichten in den Medien (Zeitungen, TV, Radio und Internet)
  • Leserbriefen und Kommentaren
  • Parlamentarischen Anfragen und politischen Vorstössen
  • Unterschriftensammlungen


In der Folge sahen sich die zuständigen Behörden gezwungen, nicht akzeptierte Änderungen an der Schreibweise von Orts- und Lokalnamen wieder rückgängig zu machen, wie dies im Kanton Zürich zwischen ca. 1962-1974 für einzelne Namen der Fall war und aktuell im Kanton Thurgau für relativ viele Namen zutrifft.


Beispiel: Kommentar der Thurgauerzeitung vom 29.5.2010:

  • Deshalb werden nun 1200 Siedlungsnamen und 20 bis 100 bedeutende Flurnamen überprüft. Wie viele Namen umbenannt werden, ist nicht klar, da ein Teil der Siedlungsnamen hochdeutsch geblieben ist. Es dürften aber mehrere Hundert sein. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Gemeinden auf den Geschmack kommen könnten und noch weitere Flurnamen ändern wollen.
  • Entmachtet wird die Nomenklaturkommission, die sich bisher aus einem Sprachwissenschaftler, dem Kantonsgeometer und einem lokalen Gewährsmann zusammensetzte. Sie hat noch beratende Funktion.
  • Die Thurgauerzeitung und ihre Leser dürfen mit Stolz für sich beanspruchen, Auslöser der Kehrtwende zu sein.


Bereits am 4., 7. und 9. April 1846 wurde über die Schreibweise von Orts- und Lokalnamen auf Karten gestritten (vgl. hier).


Die Kontroversen um die Schreibweise von Orts- und Lokalnamen beschränken sich hauptsächlich auf die deutschsprachige Schweiz. Situation in den anderen Sprachgebieten der Schweiz:


Rechtliche Grundlagen

Art. 4 GeoNV

  • Art. 4 Grundsätze Verordnung über geografische Namen (GeoNV)
  1. Geografische Namen sind einfach schreib- und lesbar und werden allgemein akzeptiert.
  2. Sie werden, soweit möglich und sinnvoll, in Anlehnung an die Standardsprache (Schriftsprache) der Sprachregion formuliert.
  3. Geografische Namen und ihre Schreibweise dürfen nur aus öffentlichem Interesse geändert werden.


Auszug aus Kap. 2.1 Empfehlungen zur Schreibweise von Gemeind- und Ortschaftsnamen, Richtlinien zur Schreibweise von Stationsnamen:

Mit «Anlehnung an die Standardsprache» wird einerseits die traditionelle, meist an der Standardsprache ausgerichtete Schreibweise verstanden und andererseits, dass die Schreibweisen von Mundartnamen sich möglichst an das Schriftbild der Standardsprache anlehnt. Der Grundsatz, Namen «soweit möglich und sinnvoll an die Standardsprache anzulehnen», bezieht sich auf alle geografischen Namen, also z.B. auch auf Flurnamen. Wegen ihres überregionalen Gebrauchs, ihrer Bedeutung und Funktion (z.B. irrtumsfreie Verständigung oder rasche Auffindbarkeit in Verzeichnissen) lehnt sich die Schreibweise von Gemeinde- und Ortschaftsnamen an die traditionelle, standardsprachlich ausgerichtete Schreibweise an. Diese Forderung richtet sich auch an Ortsnamen und bedeutende Flurnamen, aus denen Gemeinde- und Ortschaftsnamen häufig abgeleitet werden.


Eine Rückänderung der Schreibweise von geografischen Namen entspricht grundsätzlich einer Änderung der Schreibweise und darf gemäss Art. 3 Abs. 1 GeoNV nur aus einem öffentlichen Interesse erfolgen. Als öffentliches Interesse kann z.B. geltend gemacht werden, dass veränderte Schreibweisen von geografischen Namen nicht auf allgemeine Akzeptanz stossen, nicht einfach schreib- und lesbar sind und dass durch rasche Rückänderungen hohe Anpassungsarbeiten vermieden werden können.

Wie können Rückänderungen künftig vermieden werden?

  • Änderungen nur vornehmen, falls ein wirklich ausgewiesenes öffentliches Interesse vorhanden ist und gewährleistet ist, dass veränderte Schreibweisen von geografischen Namen auf allgemeine Akzeptanz stossen.
  • Befolgung der übrigen Grundsätze Art. 4 der Verordnung über geografische Namen (vgl. hier)


Beispiele von Rückänderungen

Kanton Zürich

1955 Veränderte Schreibweisen auf der neuen Landeskarte

Im Kanton Zürich wurden ca. 1955 diverse Namen gemäss Weisungen 1948 von der Siegfriedkarte in die mundartliche Form auf der neuen Landeskarte übertragen. Dank der moderaten Mundartschreibweise hat der Kanton Zürich mit Weisungen 1948 grundsätzlich gute Erfahrungen gemacht. Abgesehen von relativ wenigen Siedlungsnamen und Flurnamen haben sich die Namen meisten Namen eingebürgert (z.B. Büelen, Hus, Wise usw.). Durchgesetzt haben sich generell Mundartschreibweisen, welche sich möglichst gut an die traditionellen, vor allem schriftsprachlich ausgerichteten Schreibweisen anlehnen so z.B. Moos und Rohr (nicht Mos und Ror). Man hat sich z.T. daran gewöhnt, dass in mundartlichen Namen Wis und nicht Wies geschrieben wird. Trotzdem tauchen immer wieder Fragen auf, wenn z.B. Namen von geringer Bedeutung durch eine Überbauung, ein Stationsname usw. hohe Bedeutung erlangen und man dann rechtfertigen muss, dass z.B. ein Nider ohne ie geschrieben wird.

Da im Kanton Zürich das stumme -n (welches traditionell in ca. 40% aller geografischen Namen existiert) beibehalten wurde, mussten beutend weniger Namen geändert werden. Im Kanton Zürich konnte dadurch erreicht werden, dass viele Strassenbezeichnungen und Stationsnamen mit den entsprechenden Lokalnamen übereinstimmen (Details vgl. hier.)


1962 - 1974 Rückänderungen veränderter Schreibweisen von 1955

Pfaffhausen in der Siegfriedkarte ca. 1880 - 1955 Pfaffhusen in der Landekarte ca. 1955 - 1974 Pfaffhausen in der heutigen Landeskarte
Pfaffhausen Siegfriedkarte 1930.jpg Pfaffhusen Landeskarte 1955.jpg Pfaffhausen Landeskarte 2008.jpg


Beispiele von Rückänderungen von Orts- und Lokalnamen im Kanton Zürich ca. 1962 - 1974 vgl. hier


Kanton Thurgau

Rückänderungen der Schreibweise von Orts- und Lokalnamen im Kanton Thurgau


Hintergrund

Problematik der Mundart in Orts- und Lokalnamen

  • Praktisch alle Rückänderungen der Schreibweise von geografischen Namen gehen auf die Problematik der Mundartschreibweise zurück.
  • 1916 begann der Kanton Zürich mundartlich zu schreiben Vgl. hier.
  • Der Bund stellte sich gegen diese generelle Mundartschreibung und liess nur Mundart zu, wo nur die mundartliche Form existierte gemäss der am 9.1.1937 erlassenen Instruktion für die Erstellung neuer Landeskarten:
    • Ortsnamen, welche ohne weiteres in der Schriftsprache, als die allgemein gültige Verkehrssprache übertragen werden können und an Ort und Stelle in dieser Schreibweise gebraucht werden, bekannt und verständlich sind, sind in der Schriftsprache wiederzugeben.
    • Ortsnamen, welche dagegen nur im landläufigen Dialekt existieren und nur in dieser Form bekannt und verständlich sind, müssen in Dialektform geschrieben werden».


Weisungen 1948

  • Die vom Justiz- und Polizeidepartement erlassenen Vorschriften Weisungen 1948 regeln grundsätzlich 2 Fragen:
    • Wann soll mundartlich geschrieben werden?
    • Wie soll mundartlich geschrieben werden?


Wann soll mundartlich geschrieben werden?

Mundartlich geschrieben soll in der deutschsprachigen Schweiz

  • Gemäss Art. 7 Weisungen 1948 bei Namen mit geringer, lokaler Bedeutung
Weisungen 1948 Art. 7.jpg
  • mit Einschränkungen gemäss Art. 4 und Art. 5 Weisungen 1948
Weisungen 1948 Art. 4.jpg

Weisungen 1948 Art. 5.jpg


Wie soll mundartlich geschrieben werden?

  • Gemäss Art. 7 Weisungen 1948 soll Mundart in Anlehnung an die ortsübliche Aussprache geschrieben werden. Soll dabei eine
    • eine mundarttreue, phonetische
    • oder nur eine moderate, mundartnahe Schreibweise verwendet werden?


Weisungen 1948 verlangen nicht irgendeine Schreibung in Anlehnung an die ortsübliche Aussprache, sondern gemäss Art. 7 eine Schreibung in Anlehnung an ortsübliche Aussprache nach den im Anhang zu diesen Weisungen enthaltenen Grundsätzen und Schreibregeln. Es wird generell eine moderate Mundart gefordert. Z.B. folgende Grundsätze und Schreibregeln verlangen sinnvollerweise eine Anlehnung an das traditionelle, schriftsprachlich ausgerichtete Schriftbild:

Grundsätze Anhang Weisungen 1948

Weisungen 1948 GS 1.jpg

Weisungen 1948 GS 3.jpg

Schreibregeln Anhang Weisungen 1948

Weisungen 1948 Regel II 7.jpg

Wenn schon in der Mundartschreibweise von reinen Mundarttexten das Schrift-/Standardprinzip gegenüber dem Lautprinzip z.T. bevorzugt wird, so gilt dies erst recht für die Mundartschreibung von Orts- und Lokalnamen, wo die einfache Schreib- und Lesbarkeit eine besondere Rolle spielt, vgl. dazu die Anleitung zur Mundarschreibung von Werner Marti. Diese hat eine gewisse Analogie zu den Weisungen 1948, wobei die Weisungen 1948 jedoch nicht nur die Forderung der einfache Schreib- und Lesbarkeit berücksichtigen, sondern auch dem Umstand Rechnung tragen, dass schriftsprachliche und mundartliche Schreibweisen in geeigneter Form koexistieren müssen.

Die Weisungen 1948 als heute gültige Regeln zur Schreibweise von Orts- und Lokalnamen in der deutschsprachigen Schweiz erfüllen die Grundsätzen Art. 4 der Verordnung über geografische Namen (GeoNV). Die Ursache für unterschiedliche Handhabungen in einzelnen Kantonen sind nach Auffassung der Benutzerorganisationen weniger auf mangelnde Regelung der Weisungen 1948 zurückzuführen, sondern darauf, dass gewisse Nomenklaturkommissionen partiellen Interessen der Namenforschung (thematischen Fachebene) mehr Gewicht eingeräumt haben als den berechtigen Interessen der Allgemeinheit (Orientierung und Verständigung) und dabei die Schranken der Weisungen 1948 zum Teil massiv überschritten hatten. Dazu gehört, dass in Kauf genommen wurde, dass

  • mehr Namen mundartlich geschrieben wurden, als Weisungen 1948 zulassen (Überdehnung des Begriffes «geringe, lokale Bedeutung»)
  • resp. in einzelnen Kantonen die Schreibung in Anlehnung an die ortsübliche Aussprache nicht gemäss Anhang 7 erfolgt ist, sondern nach neuen, vom Anhang 7 der Weisungen 1948 abweichenden Grundsätzen und Schreibregeln.


Argumentation Mundart und Kulturgut

  • Orts- und Flurnamen sind ein unbestritten wichtiges Kulturgut. Das Kulturgut der Namen ist jedoch nicht von der Schreibweise abhängig. Kulturhistorisch wichtige und bedeutende Namen werden generell eher in der herkömmlichen, traditionellen, schriftsprachlich ausgerichtet, während vor allem Flurnamen mit geringer Bedeutung mundartlich geschrieben werden. Zur Dokumentation der Bedeutung und Herkunft der Orts- und Flurnamen dienen heute Namenbücher, welche sich einer allgemeinen Beliebtheit erfreuen.
  • Auch die Mundart stellt ein wichtiges Kulturgut dar. Zur Erhaltung der Mundart existieren geeignetere Mittel als Orts- und Flurnamen in möglichst extremmundartliche Schreibweisen zu ändern. Neben Orts- und Flurnamen existiert ein weit aus grösserer Mundartwortschatz im Bereich von Gattungswörter, vgl. dazu z.B. das Schweizerdeutsches Wörterbuch Idiotikon und das Zürcherdeutsche Wörterbuch von Heinz Gallmann. In letztgenanntem Wörterbuch werden auch Ortsnamen im Kanton Zürich lautgetreu geschrieben, ähnlich wie die Schreibweise der Ortsnamen im Kanton Thurgau. Gegen solche Schreibweisen ist nicht einzuwenden, sie eignen sich aber nicht für Orts- und Flurnamen auf amtlichen Karten und Plänen. Wird aus Sicht der Namenforschung eine Schreibung analog der Schreibweise in einem Mundartwörterbuch bevorzugt, drängt sich die Erstellung einer Spezialkarte auf, wie dies heute ohne weiteres als eigenständige Informationsebene realisiert werden könnte.


Vergleich Änderungen resp. Rückänderungen zwischen Kanton Zürich und Kanton Thurgau

Bei Änderungen der traditionellen Schreibweisen von der Siegfriedkarte in die neue Landeskarte mit mundartlichen im Kanton Zürich mit "konsequenter Befolgung der Weisungen 1948" betrug die Änderungsrate ca. 10%, während die Änderungsrate im Kanton Thurgau mit "konsequenter Mundart" ca. 60-70% betrug. Dieser Vergleich zeigt, dass eine Schreibweise mit "konsequenter Befolgung der Weisungen 1948" sich weit weniger von der heute von der Bevölkerung geschätzten traditionellen Schreibweise abweicht als bei der Schreibweise mit Befolgung "konsequenter Mundart" wie im Kanton Thurgau. Entsprechend weniger Rückänderungen fanden im Kanton Zürich statt als dies nun im Kanton Thurgau zu erwarten ist.

Je weniger geografische Namen resp. je weniger traditionelle, eher schriftsprachlich ausgerichtete Schreibweisen geändert und je mehr Weisungen 1948 konsequent angewendet werden, mit desto weniger Rückänderungen und Unsicherheiten ist zu rechnen und desto mehr kann sich die Bevölkerung an Orts- und Flurnamen als bedeutendes Kulturgut als ein Stück Heimat freuen.


Siehe auch


Weblinks