Mundart in Lokalnamen

Aus Geoinformation HSR
Wechseln zu: Navigation, Suche

Zurück zu den Weblinks Orts- und Lokalnamen


Üeretaaler Bärg.jpg

Üüretaaler Bärg im Kanton Thurgau.


In dieser Seite wird die Verbreitung der Mundart in Orts- und Lokalnamen analysiert und es wird aufgezeigt, wie die Mundart Eingang in Orts- und Lokalnamen fand.

Es sei hier vermerkt, dass zahlreiche Vertreter der Interessen der Geoinformation Mundartliebhaber sind und dass nichts gegen die berechtigten Anliegen der Mundart einzuwenden ist. Eine grosse Zurückhaltung besteht lediglich in der übertriebenen Schreibung der Mundart in Orts- und Lokalnamen als Geoinformation.


Verbreitung mundartlicher Formen in Orts- und Lokalnamen

Allgemeine Statistik

Anhand der swissnames kann folgende Statistik aufgestellt werden (Stand Juli 2008):

Beschreibung Anzahl
Überwiegend standardsprachliche Form verbreitet <25%
Beide Formen verbreitet 25-50%
Überwiegend mundartliche Form verbreitet >75%


Standardsprache Anzahl Mundartlich Anzahl %Mundart Kommentar
Berg 5045 Bärg 275 5% immer Berg gemäss Weisungen 1948 vgl. Statistik über Bärg
Bühl 29 Büel 1520 98% Büel besitzt grosse Akzeptanz
Hausen 76 Husen 78 51% .
Hinter 973 Hinder 510 34% .
Horn 1261 Hore 210 14% immer Horn gemäss Weisungen 1948
Klein 80 Chli 1007 93% .
Kohl 7 Chol 390 98% .
Kopf 42 Chopf 311 88% .
Kreuz 27 Chrütz 11 29% .
Leh 180 Lee 184 51% .
Letten 15 Lätten 69 82% .
Loh 79 Loo 232 75% .
Lücke 123 Lugge 10 8% .
Moos 1439 Mos 273 16% Weisungen 1948 erwähnen Moos als Mundartform
Nieder 81 Nider 231 74% .
Ried 942 Riet 539 36% beide Formen verbreitet, Anzahl Riedt 6
Rohr 127 Ror 94 43% Weisungen 1948 erwähnen Rohr als Mundartform
Unter 1472 Under 910 38% .
Weiher 73 Weier 304 81% .
Wies 47 Wis 1276 96% Wis ist eine typische mundartliche Form


Obige statistischen Werte wurden zusammen mit dem Mundarteil in Gebeäudeadressen in folgender Grafik abgebildet:


Statistik Mundartanteil in Orts- und Lokalnamen sowie Gebäudeadressen

  • Orts- und Lokalnamen: Quelle Swissnames (enthält Namen)
  • Gebäudeadressen: Quelle Directories (Strassenbezeichnung beginnt mit Namen)

Mundartanteil..jpg


  • Es ist generell festzustellen, dass die Schreibweise zum Teil nicht den Weisungen 1948 entsprechen so z.B.
  • Bärg anstelle Berg
  • Hore anstelle Horn
  • Ror anstelle Rohr. Solche Schreibweisen stossen nicht auf allgemeine Akzeptanz wie z.B. folgendes Beispiel zeigt:

Gemeinde: Fischenthal

Rohr in der Siegfriedkarte ca. 1880 - 1955 Ror in der Landekarte ca. 1955 - heute Roh im heutigen Übersichtsplan
Rohr Siegriedkarte 1930.jpg Ror Landeskarte 1955.jpg Rohr Übersichtsplan.jpg


Statistik über Bärg

  • Von 275 Namen mit Bärg betreffen allein 208 Namen den Kanton Thurgau.
  • Die veränderten Namen im Kanton Schaffhausen erscheinen (noch) nicht in der Landeskarte. Daher finden sich auf der Landeskarte keine Bärg im Kanton Schaffhausen.
  • Der Einzige "Bärg" im Kanton Zürich Feenisbärg wird nur in der Landeskarte so geschrieben , in der amtliche Vermessung heissst er Feenisberg.

Statistik über Bärg in der Landeskarte

KT Anzahl Bärg
TG 208
VS 43
GR 18
BE 2
SG 2
TI 1
ZH 1
Total 275


Geschichtlicher Hintergrund

  • Die Sprachgeschichte der Schweiz im 19. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch einen kräftigen Vormarsch des Schriftdeutschen.
  • Orts- und Lokalnamen wurden im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhundert in der Dufourkarte und der Siegfriedkarte vorwiegend schriftsprachlich geschrieben.
  • Um 1900 wurde befürchtet, dass die schweizerdeutsche Mundart ausstirbt. Tappolet (1870-1939, Romanistikprofessor an der Universität Basel) gehörte zu den Begründer des «Glossaire des patois de la Suisse romande» (welschschweizer Idiotikon). Er prophezeite den Untergang des Schweizerdeutschen und befürchtete, dass die Stadt Zürich die erste Schweizerstadt sein werde, welche zum Hochdeutschen übergehen werde.
  • 1916 Im Kanton Zürich wurde nach 1900 begonnen, Orts- und Lokalnamen mundartlich zu kartieren. Eduard Imhof schreibt 1945 in Die Ortsnamen in den amtlichen Plänen und Karten Seite 2/3:
    • Auf Anregung von Prof. Dr. A. Bachmann, Chefredaktor des schweizerischen Idiotikons (des heutigen Schweizerdeutschen Wörterbuches) erliess der Zürcher Regierungsrat im Jahre 1916 ein «Anweisung betreffend die Aufnahme und Schreibweise der Orts- und Flurnamen». Darin wird gesagt: «Die Namen sind in der ortsüblichen mundartlichen Aussprache aufzuzeichnen (also Underi Müli, Chrüzstrass usw.).»
    • Bachmann goss dann kurz darauf Wasser in seinen Wein, als er im gleichen Jahre anlässlich einer Konferenz der kantonalen Vermessungsaufsichtsbeamten die Wünsche und Ansichten der Sprachforschung begründete und formulierte. An dieser Konferenz sei erinnert, weil später die irrtümliche Meinung aufkam, er habe auch hier einer rein mundartlichen Nomenklatur das Wort geredet. Nach dem Sitzungsprotokoll sagte er jedoch folgendes: «Bei den Flurnamen ist eine durchgreifende Regelung der Schreibweise vonnöten, wobei im Allgemeinen nicht von der üblichen Schreibform, sondern von der Sprechform auszugehen sein wird. Davon kann natürlich keine Rede sein, dass etwa die reine Sprechform zur Schreibform erhoben werde; das würde schon wegen der von Ort zu Ort wechselnden Lautverhältnisse zu Unverträglichkeit führen. Ebenso untunlich ist aber auch eine konsequente Umsetzung in eine der neuhochdeutschen Schriftsprache gemässe Form. Diese ginge höchstens da an, wo wir es mit Namen zu tun haben, die als Eigen- oder Gattungsnamen auch der Schriftsprache angehören. Wo dies nicht der Fall ist, erscheint die Verschriftsprachlichung zum mindesten unnatürlich. Von vornherein ausgeschlossen ist sie bei etymologisch dunklen Namen. Hier kann nur eine der Sprechform nach Möglichkeit angenäherte Schreibung in Frage kommen.»
    • Die Streichung des einen Wörtchens «höchstens» hätte nach heutiger Einsicht die Basis legen können zu einer Verständigung zwischen den Philologen und den Plan- und Kartenerstellern.
    • Leider aber beschritt man nicht diesen einfachen Weg. Vielmehr ging man - nach Anhören eines die Türe schroff zuschlagenden Korreferates von W.Schüle, des Chefs der Sektion für Kartographie der Abteilung für Landestopographie - mit «roten Köpfen» auseinander. So schrieb man denn in den Zürcher Plänen weiterhin Chrüzstrass und Underi Müli, im benachbarten Schaffhausergebiet jedoch Kreuzstrasse und Untere Mühle.
  • 1928 Ortsnamenbuch Schweiz ca. 85'000 Orts/Lokalnamen der Schweiz als Adressen für Ermittlung der Zustelltarife Post/Telegramm. Als Ortsnamen erscheinen auch Gebäudegruppen und Einzelgebäude. Die Namen sind vielfach nach Flur- und Hofnamen benannt. Die Namen mehrheitlich in herkömmlich in Anlehnung an Standardsprache geschrieben.
  • 1937 Instruktion für die Erstellung neuer Landeskarten: «Ortsnamen, welche ohne weiteres in der Schriftsprache, als die allgemein gültige Verkehrssprache übertragen werden können und an Ort und Stelle in dieser Schreibweise gebraucht werden, bekannt und verständlich sind, sind in der Schriftsprache wiederzugeben. Ortsnamen, welche dagegen nur im landläufigen Dialekt existieren und nur in dieser Form bekannt und verständlich sind, müssen in Dialektform geschrieben werden». Diese Instruktion deckte auch die Anforderungen an die Schreibweise von Orts- und Lokalnamen für Gebäudeadressen ab.
  • 1938 Gründung «Bund Schwyzertütsch» (Dr. Adolf Guggenbühl und Prof. Dr. Eugen Dieth)
  • 1939-1945 2. Weltkrieg
  • 1947 J. Hubschmid erlässt im Auftrag der Eidgen. Landestopografie Schreibregeln für Orts- und Lokalnamen mit sehr lautnaher Schreibweise, welche keine Akzeptanz fand. (Hintergrund war die Wahrung der schweizerischen Identität.)
  • 1948 Ein heftiger Streit konnte mit dem Kompromissvorschlag der Weisungen 1948 beendet werden. Die Lösung bestand darin, dass alle Namen mit geringer und lokaler Bedeutung mundartlich geschrieben wurden und bekannte Namenwörter immer in Standardsprache belassen wurden.
  • 2005 Im Entwurf der Toponymischen Richtlinien wurde lautnahe Schreibweise der Lokalnamen gemäss Dieth vorgeschlagen. Der Entwurf wurde verworfen.
  • 2006 Auch der verbesserte Entwurf Leitfaden Toponymie stiess auf zu wenig grosse Akzeptanz.
  • 2008 Die ab 1.7.2008 gültige Verordnung über geografische Namen legt die Grundsätze zur Schreibweise von geografischen Namen fest. Eine Arbeitsgruppe wird einen Entwurf von Regeln für geografischen Namen der Landesvermessung und amtlichen Vermessung (= Orts- und Lokalnamen) erarbeiten.


Details vgl. Chronologie Schreibweise Orts- und Lokalnamen


Verordnung über geografische Namen (GeoNV)

Die ab 1.7.2008 gültige Verordnung über geografische Namen (GeoNV) enthält in Art. 4 folgende Grundsätze

  1. Geografische Namen sind einfach schreib- und lesbar und werden allgemein akzeptiert.
  2. Sie werden, soweit möglich und sinnvoll, in Anlehnung an die Standardsprache (Schriftsprache) der Sprachregion formuliert.
  3. Geografische Namen und ihre Schreibweise dürfen nur aus öffentlichem Interesse geändert werden.


Die Grundsätze 1 und 2 der GeoNV entsprechen den Grundsätzen der Weisungen 1948 mit folgenden Erweiterungen:

  • Allgemeine Akzeptanz: Namen stossen allgemein nur auf allgemeine Akzeptanz, wenn sie sich an das vertraute Schriftbild der Standardsprache anlehnen. Dies gilt auch für mundartlich geschriebene Namen. Vgl. Zitat Trudi Christen, begeisterte Leserin von Mundartliteratur,aus Artikel «Äuä» Seite 11 in Rückblick und Ausblick – Die Bubenberg-Gesellschaft 1999, 2000:Unser Wunsch wäre Dialekt geschrieben in Anlehnung an das Schriftbild der hochdeutschen Schriftsprache. Ein leserfreundlicher Druck! Den Lesern und dem Dialekt zuliebe!
  • Bestehende Namen nicht ändern: Bestehende Orts- und Lokalnamen dürfen künftig nur noch aus öffentlichen Interesse geändert werden, da sie in zahlreichen Registern, Festlegungen, Gebeäudeadressen usw. enthalten sind und als Identifikation dienen.


Siehe auch


Weblinks