Kulturgeschichtliche Bedeutung Lokalnamen

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Historischer Wegweiser in Puppikon (geänderte offizielle Schreibweise zwischen ca. 1998 und März 2012: Puppike). Wie bei den meisten seit 1948 mundartlich veränderten Schreibweisen in der deutschsprachigen Schweiz, handelt es sich nicht um alte, je existierende Schreibweisen, sondern um neue Schreibweisen. Auch bei den ca. 1990 - 2010 veränderten Lokalnamen handelt es sich meist nicht um historische, sondern neue, bisher nie existierende Mundartschreibweisen vgl. Singenberg - Singebärg - Singenberg. Die Schreibweise eines bedeutenden Kulturguts wurde nicht erhalten, sondern verändert.

Beispiel Puppikon (Quelle Thurgauer Namenbuch): 838 Puckinchova, 865 Puccinchova, 868 Puccinhova, 869 Puccinchova, 1146 Buppika, 1278 Buppinkon, 1284 Puppinkon, 1303 Puppichoven, 1522 Buppikon, 1549 Buppikon, 1580 Bubickhoffen, 1618 Bupickhoffen, 1640 Puppikhen, 1643 Buppickhooffen, 1646 Buppicken, 1689 Puppicken, 1729 Puppiken, 1765 Pupiken, 1818 Puppicken, 1887 Puppikon, 2004 Puppike.

Lokalnamen haben eine hohe kulturgeschichtliche Bedeutung. Diese Tatsache darf grundsätzlich jedoch nicht zur Begründung der Veränderung der Schreibweisen von Lokalnamen verwendet werden. Es geht primär um die Namen und das Namengut als solches.


Definitionen

Kultur

Von lat. colere: pflegen; ursprünglich Urbarmachung und Pflege des Bodens. Heute bezeichnet der Begriff allgemein jedwede Gestaltung de menschlichen Lebenswelt durch Sprache, Handwerk, Kunst und gesellschaftliche Einrichtungen. Zur Kultur gehören Religion, Ethik und Recht ebenso wie Naturwissenschaft und Technik, Kunst, Musik und Philosophie oder gesellschaftlichen Institutionen wie Familie und Staat. Die Gesamtheit des in diesem Sinne durch Menschen Herovorgebrachten konstituiert in seiner jeweils unterschiedlichen Ausformung die einzelnen Kulturepochen (Barock, Historismus, Klassizismus Renaissance).


Kulturgeschichte

Ab Anfang des 20. Jh. Zweig der Geschichtswissenschaft, der mit analytischen und synthetischen Methoden der Ökonomie, der Soziologie u.a. arbeitet. Ziel der Kulturgeschichte ist es, die nur politische Geschichtsschreibung durch die Beschreibung des Kulturellen Lebens der einzelnen Epochen zur Ergänzen.


Kulturgeschichtliche Bedeutung Lokalnamen

Allgemeines

Die Lokalnamen sind ein wichtiges Kulturgut, welches erhalten werden muss. Die kulturgeschichtliche Bedeutung der Flurnamen ist unbestritten und höchst interessant. Dazu ein Zitat aus «Schleitheim im Spiegel seiner Flurnamen» (Doppelreferat von Joseph Halytskyj und Alfred Richli, 19.2.2005 in Schleitheim): «Mer fassed zäme: Fluurnäme verzeled is über d Bodegschtalt, über de Prozäss, wie d Mäntsche aagfange händ rode und dä Bode i Psitz näh, wes dä vertailt händ, Äcker aaglait händ, wie’s ires Veh ghalte händ, und we si sälber abhängig gsi sind vo Häre, wo si händ müese zeise, schliessli wa für Näme daa ggulte händ und wa für Möödeli bim Schwätze gang und gääb gsi sind. Und das isch nanig emal ales; es wäär vo psundere Pflanze z rede und imer wider vo der Religioon, vom Glaube und vom Aberglaube und vo de Toote. Di ganz Kultuurgschicht! Aber Si wänd ja hüt na haichoo.»

Weitergehende Links zur kulturhistorischen Bedeutung von Lokalnamen:


  • vgl. Beispiel Lokalnamen (Flurnamen) der Gemeinde Lüssingen (Schreibweise Weisungen 1948 resp. Weisungen 2011)
    • Die Ortsnamen: Spiegel der Geschichte Die Ortsnamen verweisen auf Siedlungen und ihre Bewohner. In vielen Fällen gibt die sprachliche Form des Namens Auskunft darüber, wann ungefähr der entsprechende Ort gegründet wurde. Wenn eine Siedlung verschwindet, bleibt der Name manchmal als Flurbezeichnung an der Stelle haften, oft ist er jedoch nur noch in den schriftlichen Dokumenten erhalten.
    • Die Flurnamen: Spiegel der Landschaft Die Flurnamen beziehen sich auf die Landschaft. Wenn sich diese verändert, bleiben die Namen häufig die einzigen Zeugen, die auf die früheren Verhältnisse hinweisen. In Lüsslingen zum Beispiel verweisen die Namen Äspli und Fälbli darauf, dass an den entsprechenden Stellen einst Gehölze gestanden sind.
    • Die Orts- und Flurnamen: Sprachliche Versteinerungen Unsere Sprache verändert sich, wie sich auch alles andere Lebendige immer wandelt. Die Sprache, die in unserer Gegend um 1200 oder 1500 gesprochen wurde, klang anders als heute und enthielt Wörter, die heute nicht mehr bekannt sind. Wenn ein solches Wort in einen Flurnamen einging, konnte es wie eine ‘sprachliche Versteinerung’ bis in die Gegenwart weiterleben. Auch in den Lüsslinger Flurnamen sind Wörter und Lautungen erhalten, die heute nicht mehr geläufig sind: Der Name Fälbli ist mit dem Wort Fälbe gebildet, einer Bezeichnung für die Weide, die Bezeichnung Hargartenbünden enthält das Wort Har, das einst an Stelle von Flachs gebräuchlich war, die Lusmet hiess früher Lusmatt und bezeichnete ein Landstück, das jemandem durch das Los zugeteilt wurde, und Simmeri führt auf Sümmerig zurück.


  • Orts- und Flurnamen als bedeutende Geschichtsquelle in Maseltrangen, Gemeinde Schänis, Kt. St. Gallen (Schreibweise Weisungen 1948/2011) Aus der Zeit vor dem 15. Jahrhundert sind in Maseltrangen sozusagen keine Dokumente vorhanden, die über das Leben in Dörfern, Weilern und Höfen berichten könnten. Die bäuerliche Bevölkerung kam ohne Papier und Tinte aus, ohne Rechnungsbücher und schriftliche Verträge. Sie besiegelte mit mündlichen Versprechen Tauschgeschäfte und soziale Abmachungen. Dieser Mangel an schriftlicher Überlieferung hüllt das Leben der frühesten Bewohner in Dunkelheit. Die Geschichtsforschung muss sich mit den wenigen archäologischen Funden und mit den altüberlieferten Orts- und Flurnamen begnügen.
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Amerüti

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Blochberg

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Gufel

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Mettlen, Haslen, Wegscheide

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Nässi

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Nätzlisbach

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Portholz - Zelg

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Stall beim Fuchsloch (Tobel)

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Sommerig

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Stollenberg


Kulturgeschichtliche Bedeutung - besonders lautnahe Schreibweise

Ist es nun aus kulturgeschichtlicher Sicht wichtig, das Orts- und Flurnamen besonders lautnah zu schreiben?

Aus Gründen der kulturgeschichtlichen Bedeutung wurden beispielsweise Flurnamen in Schleitheim in eine möglichst lautnah Schreibweise geändert (vgl. hier). Das Kulturgut besteht in erster Linie im Namen selber, nicht in der Schreibweise. Ob in der Schreibweise ein «-n» weniger oder ein «ä» statt ein «e» verwendet wird, erhöht nicht den Wert des Kulturgutes, sondern macht es höchstens weniger attraktiv (oder gar lächerlich). Mit den Weisungen 1948 resp. Weisungen 2011 kann das Kulturgut sogar viel besser als harmonisches Gefüge (vom Name der grössten Stadt bis zum kleinsten Bächlein) erhalten werden, als wenn extrem mundartlich wirkende Schreibweisen verwendet werden.

Aus Lokalnamen lassen sich kulturhistorische Schlüsse ziehen. Namen haben jedoch grundsätzlich eine andere Funktion als Wörter:

  • Wörter haben eine Bedeutung
  • Namen bezeichnen. Im Gegensatz zu einem Wort hat ein Name grundsätzlich nur eine historische Bedeutung. Im Laufe der Jahrhunderte ist durch den Sprachwandel die ursprüngliche Bedeutung vieler Namen verloren gegangen. Es ist verständlich, dass sich gemäss Weisungen 1948 resp. Weisungen 2011 die Mundartschreibweise von Lokalnamen in erster Linie an die ortsübliche Aussprache anlehnt (sie bezeichnen in erster Linie) und nicht an die Etymologie.


Trotzdem sind die Bevölkerung wie auch Kulturhistoriker an der Bedeutung eines Orts- Lokalnamen interessiert. Die kulturhistorische Bedeutung wird klarer, je näher sich die Mundartschreibweise von Lokalnamen an das Schriftbild der Standardsprache anlehnen. Das Argument, aus kulturhistorischer Sicht von den Weisungen 1948 in Richtung grössere Berücksichtigung der Mundart abzuweichen, kann nicht nachvollzogen werden. Es kann höchstens die Vermutung geäussert werden, dass man Lokalnamen in ein möglichst lautnahes Kleid verpacken will, um den Namen einen kulturellen Touch zu verpassen. Dabei wird in Kauf genommen, dass die kulturhistorische Bedeutung eines einzelnen Namens verschleiert wird.

Aspekt Namenforschung (Situation 1945): Die Ortsnamenforschung hingegen erstrebt eine Aufnahme aller Namen in der lokalen Mundart. Im Streben nach sprachlicher Reinheit und Einheitlichkeit sucht sie ein Nebeneinander schriftsprachlicher und mundartlicher Ortsnamen oder gar ihre Mischung in ein und demselben Wortbild zu vermeiden oder wenigstens einzudämmen. Neben wissenschaftlichen und stilistischen Erwägungen sind es auch nationale Gesichtspunkte, die zugunsten der Mundart in die Wagschale gelegt werden. Es ist der Ruf nach stärkerer Betonung unserer eigenstaatlichen Substanz, nach Bodenständigkeit und sprachlichem Heimatschutz. Zitat Eduard Imhof in Die Ortsnamen in den amtlichen Plänen und Karten

Aus kulturhistorischer Sicht müssten sich im Gegenteil die Schreibweise der Lokalnamen möglichst an das Schriftbild der Standardsprache anlehnen anstelle möglichst nahe an das Lautbild. Den kulturellen Wert von Lokalnamen wird besser vermittelt mit gut schreib- und lesbaren Namen, zu welchen man in im Internet kulturhistorische Informationen vermittelt.

Weisungen Art. 7: Die Schreibung der Namen von geringer, lokaler Bedeutung, für die nach Artikel 4 und 5 keine besondere Regelung vorgesehen ist, erfolgt in Anlehnung an die ortsübliche Aussprache nach den im Anhang zu diesen Weisungen entha1tenen Grundsätzen und Schreibregeln. Da alle übrigen Namen mit grosser Bedeutung in der herkömmlichen Schreibweise belassen werden, welche eine mindestens so hohe kutlturgeschichtlich Bedeutung wie die Namen von geringer, lokalen Bedeutung haben, darf das Argument der kulturgeschichtlichen Bedeutung nicht für die besonders lautnahe Schreibweise geltend gemacht werden.

Der Grundsatz zur mundartlichen Schreibung wurde nicht wie im Kanton Thurgau von offizieller Seite behauptet wird im Bundesratsbeschluss von 1938 gefällt, sondern erst 1948 mit den Weisungen 1948. Es wurde auch nicht irgend eine lautnahe mundartliche Schreibweise festgelegt, sondern eine Schreibweise, welche auf das Schriftbild der Standardsprache Rücksicht nimmt.


Namenbücher und fachspezifische Geoinformationsebenen

Lokalnamen können ohne phonetische Zeichen nur ungenügend abgebildet werden und die unterschiedlichen aktuellen und historischen Sprechweisen erfordern ohnehin ein Namenbuch. Für das Namenbuch ist es wichtig, Referenznamen pragmatisch, in Anlehnung an das Schriftbild der Standartsprache zu schreiben damit die die Namen überhaupt aufgefunden werden können. Nicht nur aus kulturhistorischer, sondern auch aus sprachwissenschaftlichen Sicht, müsste das Interesse eigentlich grösser sein, Lokalnamen in amtlichen Karten und Plänen möglichst pragmatisch zu schreiben. Weitere Überlegungen zum Aspekt Sprache vgl. hier.


Für sprachwissenschaftliche und kulturgeschichtliche Belange können Namenbücher (ev. kombiniert mit Multimedialösungen und thematischen Geoinformationen, z.T. auch Verwendung von phonetischer Schrift) verwendet werden, in welchen die ganze Entwicklung der Namen inklusiv der kulturgeschichtlichen Bedeutung, Aussprache und phonetischer Notierung aufzeigt werden können. Infos zum Namenbuch vgl. hier. Nicht zu vergessen ist, dass in amtlichen Karten und Plänen nur eine beschränkte Auswahl kartiert werden. Die Auswahl beschränkt sich nur auf lebende Namen. Angesichts der hohen kulturellen Bedeutung und der Flexibilität betreffend Vollständigkeit, Historisierung, Schreibweise usw. wäre eine spezielle Geoinformationsebene grundsätzlich zweckmässiger, als die Verwendung von amtlichen Karten und Plänen mit hohen Einschränkungen betreffend der praktischen Bedürfnisse der Benutzer.


Siehe auch


Geografische Namen Lokalnamen Gebäudeadressen Inhaltsverzeichnis+Übersicht Aktuell