Rückänderungen der Schreibweise von Lokalnamen

Aus Geoinformation HSR
Wechseln zu: Navigation, Suche

Zurück zu den Weblinks Orts- und Lokalnamen

Hünikon Siegfriedkarte.jpg Hünikon LK1984.jpg

Hünikon und Holzhäusern in der Siegfriedkarte 1885

Schreibweisen bis 1945 unverändert

Hünikon und Holzhüseren in der Landeskarte 1957-1992

Holzhäusern wurde 1957 in Holzhüseren geändert

Hüünike LK1998.jpg Hünikon LK2004.jpg

Hüünike und Holzhüüsere in der Landeskarte 1998

Änderungen der Schreibweise gemäss Namenbuch

Hünikon und Holzhäusern zurückgeändert in der Landeskarte 2004

Schreibweisen entsprechen wieder der traditionellen Schreibweise

Rückänderungen der Schreibweise von Ortsnamen in der Thurgauer Gemeinde Amlikon-Bissegg

  • Hüünike wurde 2004 wieder in Hünikon zurückgeändert (allerdings noch nicht in allen Massstabsebenen)
  • Holzhüüsere wurde 2004 wieder in Holzhäusern zurückgeändert.


Allgemeines

Begriffe

Rückänderungen der Schreibweise von Orts- und Flurnamen:

  • In diesem Kapitel geht es um das rückgängig machen veränderter Schreibweisen von Orts- und Flurnamen.


Beharrungsvermögen der Namen und starke Bindung der Bevölkerung an die Namen

Zeitschrift für Sprache in der deutschen Schweiz, Ausgabe 2/2009: Ruedi Schwarzenbach, Namenstreit im Thurgau.

Schwarzenbach schreibt auf Seite 11 der erwähnten Zeitschrift: Die Dokumentation «Geschichte Schreibweise Orts- und Lokalnamen» der Hochschule Rapperswil sieht Konflikte zwischen drei Ansprüchen an die geographischen Namen. Schwarzenbach zitiert diesen Text und fährt anschliessend so weiter:

  • Zwei Faktoren fehlen in dieser Analyse:
    • Zum einen das Beharrungsvermögen der Namen, das sich aus ihrer Einmaligkeit ergibt. Ein Name ist nicht ein beliebig verwendbares Wort mit seiner Bedeutung (ein Appellativ), sondern ein Wort, das als Name einen Ort – und nur diesen Ort – meint, und zwar so lange, als man etwas von ihm wissen will.
    • Zum andern fehlt die starke Bindung der Bevölkerung an die Namen, die sie kennt, braucht und in ihre ‹Welt› aufgenommen hat. Er mag noch so schriftdeutsch oder noch so mundartlich geschrieben sein: So, wie sie ihn kennen und brauchen gelernt habe, so soll er bleiben. Wie der Pfannenstiel am Zürichsee, für den sich die Schreibung Pfannenstil der Landeskarte nicht durchgesetzt hat.
  • Dieses Beharrungsvermögen der Namen und die Bindung ihrer Träger an die überlieferte Schreibung sind es, die zu Kontroversen führen, wie die Zeitungen sie jetzt aus dem Thurgau melden.


Entwicklung der Orts- und Lokalnamen ausserhalb der Karten

Eduard Imhof in Schreibweise von Orts- und Lokalnamen:

  • Schreibweisen von geografischen Namen in Bezug auf den Gebrauch und in Bezug auf die Kartierung auf amtlichen Karten und Plänen:
    • Die Schreibformen der Ortsnamen haben sich vielfach ausserhalb der Karte und unabhängig von dieser entwickelt. Dieser «auswärtige» Bereich ist unvergleichlich weitschichtiger. Tausende von Ortsbezeichnungen sind in Hunderttausenden von geschriebenen und gedruckten Texten, Aufschriften, in Verwaltungs-, Gerichts- und Grundbuchakten, in militärischen und technischen Dokumenten, in Firmen-, Gasthof- und Strassenbezeichnungen, in Namen- und Adressverzeichnissen, in der Literatur und in gesetzlichen Erlassen verankert.
  • Sprachrealität der Namen (mundartliche und schriftsprachliche Sprachrealität)
    • Zahllose Örtlichkeiten besitzen zwei verschiedene, allgemeingebräuchliche Bezeichnungen, eine mundartliche und eine schriftsprachliche. Beide sind «sprachliche Wirklichkeit».
  • Problematik der Schreibweise von Mundartschreibung
    • Überdies ist die Mundart überhaupt eigentlich nicht schreibbar, da sich das Leben nicht in zwei Dutzend tote Buchstaben fassen lässt.
    • Im geschlossenen Zusammenhang mundartlicher Rede versteht jeder Deutschschweizer den Sinn der folgenden Ausdrücke: Für (oder Fir), Bom, Bu, Su, Sagg, Brigg, Stogg, Grot, Ror, Höli, Drägg, Bone, Sagi, tüf (oder teuf oder täif), Chüetel usw. Treten sie aber, so wie es der Karte der Fall wäre, in isoliert stehenden Wörtern und Wortverbindungen auf, so muten sie eher chinesisch an.
    • Der Sprachforscher darf in solchen Fragen nicht nur auf seine eigene Erfahrung bauen. Die amtlichen Pläne und Karten haben nicht nur ihm, sondern vor allem der Allgemeinheit zu dienen. Und überdies möchte sich auch ein Welschschweizer und ein Tessiner in den Karten der deutschen Schweiz einigermassen zurechtfinden können. Eine gewisse allgemein gültige, allgemein vertraute Normierung ist unentbehrlich; diese aber besitzen wir in der Schriftsprache.


Wie kommt es zu Änderungen und zu Rückänderungen?

Bei der Überführung der Siegfriedkarte in die Landeskarte ca. 1950 wurden diverse Orts- und Lokalnamen in eine mundartliche Schreibweise verändert. Vor allem wenn nicht nur Namen von geringer, lokaler Bedeutung geändert werden resp. wenn Änderungen nicht nur in eine moderate, sondern in eine konsequente Mundart erfolgten, stiessen die neuen Schreibweisen bei der Bevölkerung aber auch bei den betroffenen Behörden immer wieder auf grosse Opposition. Der Unmut und Ärger äusserte sich z.B. in

  • Berichten in den Medien (Zeitungen, TV, Radio und Internet)
  • Leserbriefen und Kommentaren
  • Parlamentarischen Anfragen und politischen Vorstössen
  • Unterschriftensammlungen


In der Folge sahen sich die zuständigen Behörden gezwungen, ungerechtfertige Änderungen an der Schreibweise von Orts- und Lokalnamen wieder rückgängig zu machen.


Rechtliche Grundlagen

Art. 3 GeoNV

  • Art. 4 Grundsätze Verordnung über geografische Namen (GeoNV)
  1. Geografische Namen sind einfach schreib- und lesbar und werden allgemein akzeptiert.
  2. Sie werden, soweit möglich und sinnvoll, in Anlehnung an die Standardsprache (Schriftsprache) der Sprachregion formuliert.
  3. Geografische Namen und ihre Schreibweise dürfen nur aus öffentlichem Interesse geändert werden.

Kap. 2.1 Empfehlungen zur Schreibweise von Gemeind- und Ortschaftsnamen, Richtlinien zur Schreibweise von Stationsnamen: Mit «Anlehnung an die Standardsprache» wird einerseits die traditionelle, meist an der Standardsprache ausgerichtete Schreibweise verstanden und andererseits, dass die Schreibweisen von Mundartnamen sich möglichst an das Schriftbild der Standardsprache anlehnt. Der Grundsatz, Namen «soweit möglich und sinnvoll an die Standardsprache anzulehnen», bezieht sich auf alle geografischen Namen, also z.B. auch auf Flurnamen. Wegen ihres überregionalen Gebrauchs, ihrer Bedeutung und Funktion (z.B. irrtumsfreie Verständigung oder rasche Auffindbarkeit in Verzeichnissen) lehnt sich die Schreibweise von Gemeinde- und Ortschaftsnamen an die traditionelle, standardsprachlich ausgerichtete Schreibweise an. Diese Forderung richtet sich auch an Ortsnamen und bedeutende Flurnamen, aus denen Gemeinde- und Ortschaftsnamen häufig abgeleitet werden.


Eine Rückänderung der Schreibweise von geografischen Namen entspricht grundsätzlich einer Änderung der Schreibweise und darf gemäss Art. 3 Abs. 1 GeoNV nur aus einem öffentlichen Interesse erfolgen.

  • Als öffentliches Interesse kann z.B. geltend gemacht werden, dass veränderte Schreibweisen von geografischen Namen nicht auf allgemeine Akzeptanz stossen, nicht einfach schreib- und lesbar sind und dass durch Rückänderungen hohe Anpassungsarbeiten vermieden werden können.
  • Ohne aktive Anpassungen von Ortstafeln, Strassenbezeichnungen usw. können sich neue Schreibweisen kaum durchsetzen und es existieren für bestimmte Örtlichkeit jahrzehntelang unterschiedliche Schreibweisen mit entsprechende Unsicherheiten und Ärger bei den Benutzern. Umgekehrt ist kaum jemand bereit, noch gut erhaltend Ortstafeln und Wegweiser zu ersetzen, nur um diese wegen geänderter Schreibweise auszutauschen, besonders auch, wenn es sich um Schreibweisen handelt, welche nicht auf allgemeine Akzeptanz stossen.
  • Sind keine plausiblen und nachvollziehbaren Gründe für die Änderungen von Orts- und Lokalnamen vorhanden, so werden sich neue Schreibweisen nicht durchsetzen und es mit Rückänderungen müssen in Kauf genommen werden.


Wie können Rückänderungen vermieden werden?

  • Änderungen nur vornehmen, falls ein wirklich ausgewiesenes öffentliches Interesse vorhanden ist und gewährleistet ist, dass veränderte Schreibweisen von geografischen Namen auf allgemeine Akzeptanz stossen.
  • Befolgung der übrigen Grundsätze Art. 4 der Verordnung über geografische Namen (GeoNV).


Beispiele von Rückänderungen

Kanton Zürich

1955 Veränderte Schreibweisen auf der neuen Landeskarte

Im Kanton Zürich wurden ca. 1955 diverse Namen gemäss Weisungen 1948 von der Siegfriedkarte in die mundartliche Form auf der neuen Landeskarte übertragen. Dank der moderaten Mundartschreibweise hat der Kanton Zürich mit Weisungen 1948 grundsätzlich gute Erfahrungen gemacht. Abgesehen von relativ wenigen Siedlungsnamen und relativ wenigen Flurnamen mit grosser Bedeutung, haben sich die Namen meisten Namen eingebürgert (z.B. Büelen, Hus, Wise usw.). Durchgesetzt haben sich generell Mundartschreibweisen, welche sich möglichst gut an das vertraute Schriftbild der Schriftsprache anlehnen so z.B. Moos und Rohr (nicht Mos und Ror). Man hat sich z.T. daran gewöhnt, dass in mundartlichen Namen Wis und nicht Wies geschrieben wird. Trotzdem tauchen immer wieder Fragen auf, wenn z.B. Namen von geringer Bedeutung durch eine Überbauung, ein Stationsname usw. hohe Bedeutung erlangen und man dann rechtfertigen muss, dass z.B. ein Nider ohne ie geschrieben wird.

Da im Kanton Zürich das stumme -n (welches traditionell in ca. 40% aller geografischen Namen existiert) beibehalten wurde, mussten weniger Namen geändert werden und viele Strassenbezeichnungen und Stationsnamen stimmen im Kanton Zürich mit den entsprechenden Lokalnamen überein Details vgl. hier.

In der Schweiz haben sich diverse Mundartformen eingebürgert (vgl. hier)


1962 - 1974 Rückänderungen veränderter Schreibweisen von 1955

Pfaffhausen in der Siegfriedkarte ca. 1880 - 1955 Pfaffhusen in der Landekarte ca. 1955 - 1974 Pfaffhausen in der heutigen Landeskarte
Pfaffhausen Siegfriedkarte 1930.jpg Pfaffhusen Landeskarte 1955.jpg Pfaffhausen Landeskarte 2008.jpg

Kommentar: Schreibweise Pfaffhausen heute einheitlich auf Landeskarte, Übersichtsplan, Haltestellen und Strassennamen


Bei einer relativ kleinen Anzahl Siedlungs- und Flurnamen von grosser Bedeutung musste ca. 1962-1974 Rückänderungen vorgenommen werden, da diese Namen nicht auf allgemeine Akzeptanz stiessen und im allgemeinen Gebrauch in der ursprünglichen Form erhalten blieben. Diese Rückänderungen hätten vermieden werden können, wenn gemäss Weisungen 1948 wirklich nur die Namen von geringer, lokaler Bedeutung in mundartnahe Form geändert worden wären.


Rückänderungen von Orts- und Lokalnamen im Kanton Zürich vgl. hier


Kanton Thurgau

1957 Veränderte Schreibweisen auf der Landeskarte

Für die neue Landeskarte wurden diverse bisherigen Schreibweisen aus der Siegfriedkarte gemäss Weisungen 1948 verändert, so z.B. Rothbühl in Rotbüel, Holzhäusern in Holzhüüsere. Die meisten Schreibweisen dieser Namen sind bis 1992 auf der Landeskarte konstant geblieben (weitere Infos vgl. hier.)


2004 Rückänderungen von aus dem Namenbuch übernommenen Schreibweisen

Während 1962-1974 im Kanton Zürich einzelne Namen Richtung traditionelle herkömmliche Schreibweise zurückgeändert worden sind, wurden im Kanton Thurgau ab 1990 sehr viele Namen gemäss Thurgauer Namenbuch in mundartgetreue Schreibweisen geändert. Es handelt sich bei den allermeisten Namen nicht um Rückänderungen zu historischen Schreibweisen, sondern um neue Schreibkreationen.


In der Landeskarte 1998 wurden die meisten Namen aus dem Thurgauer Namenbuch übernommen. Bereits 2004 wurden aber in der Landeskarte einige durch das Thurgauer Namenbuch entstandene Namen zurückgeändert (Situation in der amtlichen Vermessung nicht bekannt). Beispiele:


2010 Planung von Rückänderungen

Allgemeines

Das Departement für Inneres und Volkswirtschaft hat auf Grund der grossen Opposition aus dem ganzen Kanton eine Arbeitsgruppe eingesetzt, welche den sehr beachtlichen Bericht Orts- und Flurnamen vom 23. März 2010 mit folgendem Inhalt verfasst hat:


Pressemitteilung 28.5.2010: Aus «Roopel» soll wieder «Rotbühl» werden vgl. hier


Entscheid Chef Departement für Inneres und Volkswirtschaft
  • Auf Vorschlag einer Arbeitsgruppe hat der Chef des Departements für Inneres und Volkswirtschaft entschieden, die Ortsnamen wieder nach der traditionellen, schriftsprachlichen Schreibweise auszurichten. Dies soll auch bei Flurnamen möglich sein, die über das Lokale hinaus bekannt sind. Mit der Bereinigung der Orts- und Flurnamen wird eine neue Arbeitsgruppe eingesetzt, die ihre Arbeit bis Mitte 2011 beenden soll.
    • Gemäss den Empfehlungen der Arbeitsgruppe soll sich die Schreibweise der Ortsnamen, also der besiedelten Gebiete, wieder nach der traditionellen Schreibweise richten. Diese Schreibweise entspricht derjenigen, wie sie in den Gemeinden über Jahrzehnte hinweg für die Bezeichnung der Siedlungen verwendet wurde. Die traditionelle Schreibweise ist dementsprechend in der Bevölkerung bekannt und fest verankert. Sie entspricht bei den Ortsnamen mehr der Schriftsprache als der Mundart und ist damit einfacher schreib- und lesbar. Aus «Roopel» soll also wieder »Rotbühl» werden.
    • Als zweites sollen Flurnamen, die über das Lokale hinaus bekannt sind, denen ein allgemeines Interesse auch auswärtiger Personen zukommt und die teilweise über gleichnamige Restaurants verfügen, ebenfalls wieder in der traditionellen Schreibweise benannt werden. Dazu gehören beispielsweise Ausflugsziele und Naherholungsgebiete. So soll unter anderem aus «Nole» wieder «Nollen», aus «Stäälibuck» wieder »Stählibuck» und aus «Tuurbärg» wieder »Thurberg» werden.
  • Die Schreibweise der übrigen Flurnamen, also von unbesiedelten Gebieten ohne besondere Bedeutung, soll grundsätzlich in Mundart nach den bisher angewandten Schreibregeln erfolgen.


Weiteres Vorgehen
  • Die neue Arbeitsgruppe, die ebenfalls unter dem Vorsitz von Andreas Keller, Generalsekretär des Departements für Inneres und Volkswirtschaft, stehen wird, wird nun als erstes das Orts- und Siedlungsverzeichnis des Kantons Thurgau aktualisieren. Dieses Verzeichnis wurde von der Dienststelle für Statistik letztmals im Jahr 2005 herausgegeben. Das Departement für Inneres und Volkswirtschaft unterbreitet den Gemeinden anschliessend das überarbeitete Verzeichnis zur Vernehmlassung. Abschliessend werden die Ortsnamen in die amtliche Vermessung eingetragen.
  • Bezüglich Flurnamen erstellt die Arbeitsgruppe eine Liste der Flurnamen von allgemeinem Interesse. Auch zu dieser Liste können sich die Gemeinden vernehmen lassen.
  • Die Rechtsgrundlagen sollen so angepasst werden, dass Streitfälle in erster Instanz vom Amt für Geoinformation entschieden werden. Rekurse werden vom Departement für Inneres und Volkswirtschaft behandelt.


Kommentar der Thurgauerzeitung

Kommentar der Thurgauerzeitung vom 29.5.2010:

  • Deshalb werden nun 1200 Siedlungsnamen und 20 bis 100 bedeutende Flurnamen überprüft. Wie viele Namen umbenannt werden, ist nicht klar, da ein Teil der Siedlungsnamen hochdeutsch geblieben ist. Es dürften aber mehrere Hundert sein. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Gemeinden auf den Geschmack kommen könnten und noch weitere Flurnamen ändern wollen.
  • Entmachtet wird die Nomenklaturkommission, die sich bisher aus einem Sprachwissenschaftler, dem Kantonsgeometer und einem lokalen Gewährsmann zusammensetzte. Sie hat noch beratende Funktion.
  • Die Thurgauerzeitung und ihre Leser dürfen mit Stolz für sich beanspruchen, Auslöser der Kehrtwende zu sein.


Erkenntnisse der Arbeitsgruppe

Die Arbeitsgruppe hält in ihrem Bericht fest, dass

Die Arbeitsgruppe ist gestützt von die Antwort des Regierungsrates vom 3.8.2009 auf die Anfrage vom Kantonsrat Thomas Merz von folgender Aussage des Bundesrates ausgegangen: Vor dem Hintergrund des einleitend bereits geschilderten Sprachenstreits in den 1930er Jahren beschloss der Bundesrat am 22. Februar 1938, dass die Lokalnamen auf der geplanten Landeskarte der Schweiz mundartnah geschrieben werden sollten (vgl. 2 Einsetzung einer Arbeitsgruppe). Diese Aussage ist jedoch falsch (vgl. hier.) Der Bundesrat selber hat von den Kantonen nie eine mundartnahe Schreibweise für Orts- und Flurnamen verlangt, sondern die Weisungen 1948 haben im Rahmen von gewissen Schranken eine moderate, möglichst an das traditionelle Schriftbild anlehnende Schreibweise für Namen mit geringer, lokalen Bedeutung vorgegeben. Diese Schreibweise wurde zwischen 1957 und 1992 im Kanton Thurgau auch auf der Landeskarte angewendet. Die von der Arbeitsgruppe aufgezählten Kantone, welche das nicht gesprochene -n schreiben, wenden nicht Schriftsprache, wie es der Anschein macht, sondern eine an die traditionelle Schreibweise angepasste Mundart an. Die Arbeitsgruppe stellt zu Recht fest, dass die Schreibung der Orts- und Flurnamen in der Schweiz leider unterschiedlich ist. Nach Ansicht der Benutzerorganisationen ist dieser Umstand weniger darauf zurück zu führen, dass die Weisungen 1948 zu veraltet und zu offenen gehalten sind, sondern dass diese nicht immer angewandt wurden, da Seitens der Namenforschung z.T. ein Mundartschreibweise bevorzugt wurde, welche sich mehr an der Lautnähe anstelle des traditionellen Schriftbildes orientiert.


Hintergrund

Problematik der Mundart in Orts- und Lokalnamen

  • Praktisch alle Rückänderungen der Schreibweise von geografischen Namen gehen auf die Problematik der Mundartschreibweise zurück.
  • 1916 begann der Kanton Zürich mundartlich zu schreiben. Der Hintergrund dürfte sein, dass man damals befürchtet hat, dass die Mundart aussterben könnte. Vgl. hier
  • Der Bund stellte sich gegen diese generelle Mundartschreibung und liess nur Mundart zu, wo nur die mundartliche Form existierte gemäss der am 9.1.1937 erlassenen Instruktion für die Erstellung neuer Landeskarten:
    • Ortsnamen, welche ohne weiteres in der Schriftsprache, als die allgemein gültige Verkehrssprache übertragen werden können und an Ort und Stelle in dieser Schreibweise gebraucht werden, bekannt und verständlich sind, sind in der Schriftsprache wiederzugeben.
    • Ortsnamen, welche dagegen nur im landläufigen Dialekt existieren und nur in dieser Form bekannt und verständlich sind, müssen in Dialektform geschrieben werden».


Bundesratsbeschluss vom 22.2.1938

Regelte der Bundesrat die Mundartschreibung?

  • Im Kanton Thurgau ist immer wieder zu vernehmen, dass der Bundesrat im BRB von 22. Februar 1938 beschlossen habe, dass die Lokalnamen in der Landeskarte mundartnah geschrieben werden. Diese Aussage ist falsch! Als Schreibregeln galt immer noch die Instruktion 1937 für die Erstellung der Landeskarten.


Bundesratsbeschluss 22,2,1938.jpg

Bundesrat im BRB von 22. Februar 1938


  • Der Bundesrat hat nie Vorschriften zur Schreibung von Mundart für Lokalnamen erlassen! Im ganzen Bundesratsbeschluss vom 22. Februar 1938 hat der Bundesrat in keinem Satz erwähnt.
    • In Art. 4 verlangt der Bund: die Kantone erlassen auf Grund der vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement festgesetzten Grundsätze die näheren Vorschriften über die Erhebung und Schreibweise der Lokalnamen.
    • Der Bundesrat erkannte im BRB 22.2.1938 die Problematik, wenn Siedlungsnamen mundartlich geschrieben werden und verlangte gemäss Art. 5 und 7 im Bundesratsbeschluss vom 22. Februar 1938: Namen von bewohnten Orten (Siedlungsnamen), welche im Gebrauch der Bundesverwaltung stehen, sind dem Bund zu Vernehmlassung vorzulegen.


Regelung der Siedlungsnamen

Der Bundesart legte schon 1938 ein besonderes Augenmerk auf die Siedlungsnamen (bewohnte Orte). Es ist daher paradox, dass der Bundesratsbeschluss vom 22. Februar 1938 als Ursache für die Probleme der Orts- und Flurnamen im Kanton Thurgau, insbesondere der veränderten Siedlungsnamen genannt wird. Dabei spricht sich der Bundesrat in seinem Beschluss in keinem Wort über die Mundartschreibung aus, hält im Gegenteil an den generellen Schreibregeln der Instruktion von 1937 über Erstellung neuer Landeskarten fest und beschliesst, dass die Schreibweise der Namen von bewohnten Orten (Siedlungsnamen), die im Gebrauch der Bundesveraltung stehen, dem Bund zur Vernehmlassung vorzulegen sind. Im Kanton Thurgau wurden die Orts- und Lokalnamen seit ca. 1957 auf der Landeskarte z.T. mundartnah geschrieben (Basis Weisungen 1948), ohne dass dies wegen der moderaten Schreibweise viel Wirbel verursacht hat. Orts- und Siedlungsnamen sind bedeutsame Namen für die betroffene Bevölkerung und sind vielfach Adressbestandteil. Änderungen solcher Namen stossen daher vielfach auch Widerstand (vgl. auch hier).


Weisungen 1948

  • Die vom Justiz- und Polizeidepartement erlassenen Vorschriften Weisungen 1948 regeln grundsätzlich 2 Fragen:
    • Wann soll mundartlich geschrieben werden?
    • Wie soll mundartlich geschrieben werden?


Wann soll mundartlich geschrieben werden?

  • Gemäss Art. 7 Weisungen 1948 bei Namen mit geringer, lokaler Bedeutung
  • Einschränkungen gemäss Art. 4 und Art. 5


Weisungen 1948

Weisungen 1948 Art. 7.jpg

Weisungen 1948 Art. 4.jpg

Weisungen 1948 Art. 5.jpg


Wie soll mundartlich geschrieben werden?

  • Gemäss Art. 7 Weisungen 1948 soll Mundart in Anlehnung an die ortsübliche Aussprache geschrieben werden. Soll dabei eine
    • eine mundarttreue, phonetische
    • oder nur eine moderate, mundartnahe Schreibweise verwendet werden?

Weisungen 1948 verlangen nicht irgendeine Schreibung in Anlehnung an die ortsübliche Aussprache, sondern eine Schreibung in Anlehnung an ortsübliche Aussprache nach den im Anhang zu diesen Weisungen enthaltenen Grundsätzen und Schreibregeln. Dazu gehören z.B.

Grundsätze Anhang Weisungen 1948

Weisungen 1948 GS 1.jpg

Weisungen 1948 GS 3.jpg


Schreibregeln Anhang Weisungen 1948

Weisungen 1948 Regel II 7.jpg


Die Weisungen 1948 als heute gültige Regeln zur Schreibweise von Orts- und Lokalnamen in der deutschsprachigen Schweiz erfüllen die Grundsätzen Art. 4 der Verordnung über geografische Namen (GeoNV). Die Ursache für unterschiedliche Handhabungen in einzelnen Kantonen sind weniger auf mangelnde Regelung der Weisungen 1948 zurückzuführen, sondern darauf, dass gewisse Nomenklaturkommissionen partiellen Interessen der Namenforschung (thematischen Fachebene) mehr Gewicht eingeräumt haben als den berechtigen Interessen der Allgemeinheit (Orientierung und Verständigung) und dabei die Schranken der Weisungen 1948 zum Teil massiv überschritten hatten. Dazu gehört, dass in Kauf genommen wurde, dass

  • mehr Namen mundartlich geschrieben wurden, als Weisungen 1948 zulassen (Überdehnung des Begriffes «geringe, lokale Bedeutung»)
  • resp. in einzelnen Kantonen die Schreibung in Anlehnung an die ortsübliche Aussprache nicht gemäss Anhang 7 erfolgt ist, sondern nach neuen, vom Anhang 7 der Weisungen 1948 abweichenden Grundsätzen und Schreibregeln.


Argumentation Orts- und Flurnamen sowie Mundart als Kulturgut

  • Orts- und Flurnamen sind ein unbestritten wichtiges Kulturgut. Das Kulturgut der Namen ist jedoch nicht von der Schreibweise abhängig. Kulturhistorisch wichtige und bedeutende Namen werden generell eher in der herkömmlichen, an die Schriftsprache ausgerichtete Schreibung ausgerichtet, während vor allem Flurnamen mit geringer Bedeutung mundartlich geschrieben werden. Zur Dokumentation der Bedeutung und Herkunft der Orts- und Flurnamen dienen heute Namenbücher, welche sich einer allgemeinen Beliebtheit erfreuen.
  • Auch die Mundart stellt ein wichtiges Kulturgut dar. Zur Erhaltung der Mundart existieren geeigneter Mittel als Orts- und Flurnamen in möglichst extremmundartliche Schreibweisen zu ändern. Neben Orts- und Flurnamen existiert ein weit aus grösserer Mundartwortschatz im Bereich von Gattungswörter, vgl. dazu z.B. das Schweizerdeutsches Wörterbuch Idiotikon und das Zürcherdeutsche Wörterbuch von Heinz Gallmann



Siehe auch


Weblinks