Schreibung von Örtlichkeitsnamen
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Unter- /Ober Rohr Siegfriedkarte 1955 | Ror / Ober Ror Landeskarte 1956 | Ror / Ober Ror Landeskarte 2014 |
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Ror / Oberrohr TLM 2014 | Rohr Übersichtsplan 2014 | Oberrohr Übersichtsplan 2014 |
Örtlichkeit Rohr bzw. Ror in der Gemeinde Fischenthal, Kt. Zürich.
Es ist davon auszugehen, dass auch eine Rückänderung von Ror auf Rohr bei der Nachführung der Landeskarte erfolgt.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Örtlichkeitsnamen
- 2 Geschichtlicher Hintergrund der Schreibung von Örtlichkeitsnamen
- 3 Mundartnahe anstelle Mundartgetreue Schreibung von Örtlichkeitsnamen
- 4 Umsetzung der Weisungen 1948
- 5 Umsetzung der Weisungen 2011
- 6 Grenzzone zwischen mundartlicher Schreibung und schriftlichem Sprachgebrauch
- 7 Siehe auch
Örtlichkeitsnamen
Als Örtlichkeitsnamen werden hier Bezeichnungen von Örtlichkeiten und Gebieten verstanden, ohne Zuordnung zu Siedlungen oder Flurgebieten und als Namen, aus denen Bezeichnungen von Stationen, Strassen, Gebäude usw. bereits abgeleitet worden sind, resp. abgeleitet werden können. Von der Bevölkerung und von den Behörden wird für eine bestimmte Örtlichkeit und für daraus abgeleitete Namen grundsätzlich eine einheitliche Schreibweise von Namen erwartet, die im Alltag als Orientierung und zur Verständigung genutzt werden können (Gebrauchsnamen).
Geographische Namen sind wichtige immaterielle Zeugnisse unserer Kulturlandschaft. Sie geben uns Hinweise auf die Siedlungs-, Bevölkerungs- und Wirtschaftsgeschichte, und sie sind Geschichtszeugnisse der lokalen und regionalen Traditionen. In der Bevölkerung sind sie fester Bestandteil der sprachlichen Überlieferung und tragen damit entscheidend zur heimatlichen Identität bei. Geographische Namen sind somit Teil unseres Kulturerbes, das eines besonderen Schutzes bedarf Quelle vgl. hier.
Es ist zu unterscheiden zwischen dem kulturell bedeutsamen Namensgut der Örtlichkeiten und deren Schreibweise. Auch von Örtlichkeiten abgeleitete Namen sind Träger des Kulturerbes und bleiben erhalten, auch wenn ursprüngliche Lokalnamen in amtlichen Plänen und Karten aus Platzgründen nicht mehr kartiert werden können. Bestrebungen für die Erhaltung geeigneter Schreibweisen von Örtlichkeiten als Gebrauchsnamen tragen zur Erhaltung des Kulturerbes bei.
Kleine Unterschiede in der Schreibung einer bestimmten Örtlichkeit geben immer wieder Anlass zu Diskussionen und gehen vielfach zurück auf die Änderung der Schreibweise von Lokalnamen mit geringer, lokalen Bedeutung in Mundart in der amtlichen Vermessung und auf der neuen Landeskarte ca. 1950-1970. Beispiel:
- Warum wird ein Lokalname als «Ror» und nicht mehr als «Rohr» geschrieben?
- Warum wird ein Lokalname als «Ror» ohne -h geschrieben und ein Strassennamen als «Rohrstrasse» wie üblich mit -h?
Die Änderung von Örtlichkeiten in Mundartschreibung kann grundsätzlich verschiedene Folgeerscheinungen haben, die sich auch überlappen können:
- die ursprüngliche Schreibung ist als Identität in der Bevölkerung verankert (vgl. hier), ist z.T. auch in anderen Namen (z.B. von Haltestellen, Strassen, Gebäude usw.) enthalten resp. die Schreibweise ist auf Ortstafeln, Wegweisern usw. prominent ersichtlich (vgl. hier). Die neue Schreibweise auf offiziellen Plänen und Karten setzt sich aus diesen Gründen nicht durch. Häufig fühlt sich niemand verantwortlich, alte Schreibweisen durch neue Schreibweisen zu ersetzen. Die Koordination und Realisierung einer Harmonisierung der Schreibweisen kann auch sehr aufwändig und kostspielig sein (Aspekt Änderung).
- die neue mundartliche Schreibweise kann sich nicht durchsetzen, da sie nicht auf allgemeine Akzeptanz stösst, resp. wegen mangelnder Anlehnung an das Schriftbild der Schriftsprache nicht gebrauchsfähig ist (Aspekt Qualität).
- für die Schreibweise der einzelnen Kategorien von geografischen Namen sind unterschiedliche Stellen verantwortlich (vgl. hier), welche z.T. unterschiedliche Vorstellung für eine optimale Schreibweise einer Örtlichkeit haben können. Auch bestehen unterschiedliche Vorstellungen betreffend Erhaltung eines Kulturgutes (Aspekt Mensch).
Mangelnder Akzeptanz der neuen Mundartschreibweisen kann auch darauf zurückgeführt werden, dass die Änderung an Namen erfolge, welche mehr als nur geringe und lokale Bedeutung aufweisen (zum Zeitpunkt der Änderungen resp. zu einem späteren Zeitpunkt) oder dass die Schreibung nicht nach Weisungen 1948 erfolgte.
Sind nun Mundartschreibweisen und daraus resultierende unterschiedlichen Schreibweisen auf den 2. Weltkrieg zurückzuführen, wo man zur Bewahrung der kulturellen Werte der Schweiz Orts- und Flurnamen in der amtlichen Vermessung und auf der neuen Landeskarte vermehrt in Mundart geschrieben hat?
Geschichtlicher Hintergrund der Schreibung von Örtlichkeitsnamen
vgl. Geschichte Schreibweise Lokalnamen
Zeitlich fällt der Beginn der Änderungen von Orts- und Flurnamen etwa auf die Zeit nach dem 2. Weltkrieg zusammen, als man zu dieser Zeit begann, die damalige Siegfriedkarte durch die neue Landeskarte sukzessive abzulösen. Auch wenn der 2. Weltkrieg und die Rückbesinnung auf die kulturellen Werte der Schweiz damals eine gewisse Rolle für diesen Schritt gespielt haben mag, geht die Frage zur Schreibung von Lokalnamen (Orts- und Flurnamen, Örtlichkeitsnamen) auf das 19. Jh. zurück, wo sich die Nomenklatur auf der Dufour- und Siegfriedkarte stark an die Schriftsprache anlehnte. Lange Zeit vor der Etablierung der neuen Landeskarte wurde der Ruf nach einer Erneuerung der Nomenklatur auf der Siegfriedkarte laut.
Zwischen Anfang des 20. Jh. bis 1948, dauerte dann eine langwierige Auseinandersetzung zwischen Namenforschern, Linguisten sowie Plan- und Kartenerstellern, wie der Wechsel der Nomenklatur von der Siegfriedkarte in die Nomenklatur der neuen Landeskarte erfolgen sollte. In zahlreichen Zeitschriften und Zeitungsartikel wurden zum Teil sehr unterschiedliche Positionen vertreten. Auch unter Linguisten existierten recht unterschiedliche Meinungen. Die Meinungsverschiedenheiten bezogen sich vor allem auf die Grenzzone zwischen mundartlicher Schreibung und schriftlichem Sprachgebrauch.
Dank der Digitalisierung von Zeitschriften durch die ETH Bibliothek sind historische Texte aus dieser Zeit leicht zugänglich geworden. Vergleiche dazu die Seite «Historische Texte zur Schreibung der Lokalnamen».
Einen Überblick über die Geschehnisse dieser Zeitepoche und unterschiedlichen Positionen vermittelt die Abhandlung «Die Ortsnamen in den amtlichen Plänen und Karten» 1945 von Prof. Eduard Imhof. Ein zugehöriges Literaturverzeichnis ergänzt durch Links auf die ETH Bibliothek findet sich hier. Als Überblick zu diesen Geschehnissen existiert auch ein Kurzreferat von Prof. Angelo Garovi aus dem Jahre 2006 mit Titel «Die Weisungen von 1948: linguistisch-pragmatische Bemerkungen.»
Bereits 1916 begann man im Kanton Zürich Orts- und Flurnamen in der Grundbuchvermessung in Anlehnung an die örtliche Sprechweise zu schreiben vgl. Die Schreibweise der Orts- und Flurnamen in den Grundbuchplänen und topographischen Karten. Damit ist ersichtlich, dass die forcierte Mundartschreibung von Orts- und Flurnamen nicht allein auf den 2. Weltkrieg zurückzuführen ist.
Die damalige Änderung der Schreibweise von Orts- und Flurnamen von der Schriftsprache in mundartnahe Formen hat Folgen bis in die heutige Zeit des 21. Jh. vgl. dazu obige Karten- und Planausschnitte mit der unterschiedlichen Schreibweise der Örtlichkeit «Rohr» bzw. «Ror». Das Studium der historischen Texte kann zum besseren Verständnis der Problematik der Mundartschreibung von Örtlichkeiten und zur Lösungsfindung von aktuellen Problemen beitragen.
Mundartnahe anstelle Mundartgetreue Schreibung von Örtlichkeitsnamen
Auszug Eduard Imhof im Aufsatz «Die Ortsnamen in den amtlichen Plänen und Karten» 1945
Auf Anregung von Prof. Dr. A. Bachmann, Chefredaktor des schweizerischen Idiotikons (des heutigen Schweizerdeutschen Wörterbuches) erließ der Zürcher Regierungsrat im Jahre 1916 eine „Anweisung betreffend die Aufnahme und Schreibweise der Orts- und Flurnamen". Darin wird gesagt: „Die Namen sind in der ortsüblichen mundartlichen Aussprache aufzuzeichnen (also: Underi Müli, Chrüzstrass usw.)." Bachmann goss dann kurz darauf Wasser in seinen Wein, als er im gleichen Jahre anlässlich einer Konferenz der kantonalen Vermessungsaufsichtsbeamten (Lit. Nr. 16) die Wünsche und Ansichten der Sprachforschung begründete und formulierte. An diese Konferenz sei erinnert, weil später die irrtümliche Meinung aufkam, er habe auch hier einer rein mundartlichen Nomenklatur das Wort geredet. Nach dem Sitzungsprotokoll sagte er jedoch folgendes: „Bei den Flurnamen ist eine durchgreifende Regelung der Schreibweise vonnöten, wobei im Allgemeinen nicht von der üblichen Schreibform, sondern von der Sprechform auszugehen sein wird. Davon kann natürlich keine Rede sein, dass etwa die reine Sprechform zur Schreibform erhoben werde; das würde schon wegen der von Ort zu Ort wechselnden Lautverhältnisse zu Unerträglichkeiten führen. Ebenso untunlich ist aber auch eine konsequente Umsetzung in eine der neuhochdeutschen Schriftsprache gemäße Form. Diese ginge höchstens da an, wo wir es mit Namen zu tun haben, die als Eigen- oder Gattungsnamen auch der Schriftsprache angehören. Wo dies nicht der Fall ist, erscheint die Verschriftsprachlichung zum mindesten unnatürlich. Von vornherein ausgeschlossen ist sie bei etymologisch dunkeln Namen. Hier kann nur eine der Sprechform nach Möglichkeit angenäherte Schreibung in Frage kommen."
Die Streichung des einen Wörtchens „höchstens" hätte nach heutiger Einsicht die Basis legen können zu einer Verständigung zwischen den Philologen und den Plan- und Kartenerstellern. Leider aber beschritt man nicht diesen einfachen Weg. Vielmehr ging man - nach Anhören eines die Türe schroff zuschlagenden Korreferates von W. Schule, des Chefs der Sektion für Kartographie der Abteilung für Landestopographie - mit „roten Köpfen" auseinander. So schrieb man denn in den Zürcher Plänen weiterhin Chrüzstrass und Underi Müli, im benachbarten Schaffhausergebiet jedoch Kreuzstrasse und Untere Mühle.
Kommentar:
- Der 1916 geäusserte Grundsatz, zur Mundartschreibung von Örtlichkeitsnamen nur eine normalisierte mundartnahe und nicht mundartgetreue Schreibung zu verwenden war auch Grundlage der Weisungen 1948, die als Weisungen 2011 erhalten geblieben. Der Grundsatz ist eine wichtige Voraussetzung für die Schreibung von Örtlichkeiten als Gebrauchsnamen.
- Meinungsverschiedenheiten von 1916 bestehen auch heute noch und betreffen eine angemessene Anlehnung der Schreibung von Örtlichkeiten an das Schriftbild der Schriftsprache, als weitere wichtige Voraussetzung für die Schreibung von Örtlichkeiten als Gebrauchsnamen. Dieser Grundsatz ist in den Weisungen 1948 als Kompromisslösung nur zum Teil berücksichtigt resp. wurde in der Anwendung zu wenig stark befolgt:
- Zitat Albert Bachmann: Die Schriftsprache ginge höchstens da an, wo wir es mit Namen zu tun haben, die als Eigen- oder Gattungsnamen auch der Schriftsprache angehören.
- Beurteilung von Eduard Imhof: Streichung des einen Wörtchens „höchstens" hätte nach heutiger Einsicht die Basis legen können zu einer Verständigung zwischen den Philologen und den Plan- und Kartenerstellern.
Umsetzung der Weisungen 1948
Allgemeines
Nach langem Ringen um eine allgemein akzeptable Lösung hat 1948 der Bund die «Weisungen für die Erhebung und Schreibweise der Lokalnamen bei Grundbuchvermessungen in der deutschsprachigen Schweiz» erlassen.
Kantone, welche Weisungen 1948 angewendet haben, haben damit gute Erfahrungen gemacht.
Bei der Umsetzung der Weisungen 1948 gab es aber auch Probleme, welche z.B. auf folgende Ursachen zurückgeführt werden können:
- die Änderung der Schreibweise von Lokalnamen führt häufig zu Problemen, insbesondere wenn diese verbreitet und referenziert sind
- Lokalnamen wurden gemäss Weisungen 1948 geändert, obschon sie mehr als nur lokale Bedeutung hatten (grundsätzlich weisen alle Siedlungsnamen und als Adresse verwendete Lokalnamen eine über die Gemeinde hinausgehende Bedeutung auf)
- infolge der Siedlungsentwicklung erlangen Lokalnamen mit ursprünglich nur lokaler Bedeutung nachträglich eine über die Gemeinde hinausgehende Bedeutung. Weist dabei eine Mundartschreibung eine zu geringe Anlehnung an das Schriftbild der Schriftsprache auf, so sind Rückmutationen in die ursprüngliche, traditionelle Schreibweise z.T. nicht vermeidbar (vgl. «Niederfeld» - «Niderfeld» - «Niederfeld»)
- ein Lokalname wurde im Ermessensspielraum einer Nomenklaturkommission, welche die mundartlichen Schreibung möglichst vieler Namen propagierte, zu wenig nahe an das vertraute Schriftbild der Schriftsprache geschrieben, dies vor allem bei in der Schriftsprache verbreitete Schreibweisen (z.B. «Ror» anstelle «Rohr», «Mos» anstelle «Moos» usw.).
Beispiel Rohr – Ror
Gemeinde Fischenthal, Kt. ZH
Eigentlich wird nach Weisungen 1948 ein Lokalnamen von lokaler Bedeutung als «Rohr» und nicht als «Ror» geschrieben. Hätte man diese Regel befolgt, hätte man sich Konflikte mit geänderten Lokalnamen «Ror» und dem Strassennamen «Rohrstrasse» ersparten können.
C. Besondere Schreibregeln im Anhang zu den Weisungen 1948
1. Die Bezeichnung der Länge. ... Die Länge eines Vokals wird durch h nur dann bezeichnet, wenn die Schreibform ohnehin einem schriftdeutschen Vorbild genau entspricht:
c. Moos, Rohr, Zehnten, Zahl
Beispiel Papiermühle - Papirmüli - Papiermüli
Gemeinde Zihlschlacht-Sitterdorf, Kt. TG
Auch ein Lokalname wie z.B. «Papiermühle» sollte nicht auf «Papirmüli» ohne -ie geändert werden. Ein in der Schriftsprache verbreitetes Schriftbild «Papir» für «Papier» stösst auf Unverständnis. Der Name wurde dann 1966 auf der Landeskarte pragmatisch in «Papiermüli» mit -ie geändert. 1996 erfolge eine Änderung der Schreibweise von Degenau auf Tägenau, welche 2002 zurückmutiert wurde. Papiermüli wurde dann ab 2014 wieder als Papiermühle geschrieben. Die untenstehenden Kartenausschnitte illustrieren das Schicksal der beiden Lokalnamen Degenau und Papiermühle, bis nach 60 Jahren die Schreibweise auf der Landeskarte ab 2014 wieder der herkömmlichen Schreibweise auf der Siegfriedkarte entspricht.
Landeskarte 1966-1995 Degenau und Papiermüli (Papier mit ie) | |
Beispiel Frohbühl - Frohbüel
Stadt Rapperswil-Jona, Kt. SG
- Der Lokalname Frohbühl wurde 1957 im Übergang von der Siegfriedkarte zur Landeskarte auf Frohbüel geändert (-h belassen). Die Schreibweise Frohbüel stösst heute (im Gegensatz zu Frobüel) grundsätzlich auf allgemeine Akzeptanz und wird auch für Strassenbezeichnungen verwendet (eher im ländlichen und weniger im städtischen Gebiet wie auch in Rapperswil-Jona).
- Schreibweisen von Lokalnamen wie Bollwis (wis ohne -ie) entsprechen zwar der normalisierten Mundartschreibweise gemäss Weisungen 1948, werden jedoch für Strassen- und Stationsbezeichnungen jedoch (mangels ungenügender Anlehnung an das Schriftbild der Standardsprache) weniger verwendet (so auch in der Stadt Rapperswil-Jona).
- Die Änderung des Lokalnamens Grützen auf Grüzen zeigt sich auch in der Strassenbezeichnung.
Die Änderung der Schreibweise von Örtlichkeiten in Mundart hat allgemein grosse Spuren hinterlassen und z.T. unterschiedliche Schreibweisen für eine bestimmte Örtlichkeit verursacht.
Beispiel Albisgütli – Albisgüetli
Stadt Zürich, Kt. ZH
Wird z.B. eine Örtlichkeit im Strassennetz mit einem Wegweiser signalisiert, so wird grundsätzlich die Örtlichkeit als solche signalisiert, nicht speziell ein einzelnes Objekt. Es besteht allgemein ein öffentliches Interesse, einheitliche Schreibweisen für Örtlichkeitsbezeichnungen und daraus abgeleiteter Namen zu verwenden.
In der Stadt Zürich existiert zum Beispiel ein Wegweiser zur Örtlichkeit «Albisgütli» und nicht zu «Albisgüetli». Schreibweise Flurgebiet: «Albisgüetli»; Schreibweise übrige Objekte wie Strasse, Haltestelle, Strassenverkehrsamt und Wirtschaft: «Albisgütli». Die gleiche Problematik besteht auch in der Landeskarte, wo nicht gleichzeitig «Albisgüetli» und «Albisgütli» kartiert werden können. Eine etwas bessere Situation besteht im elektronischen Haltestellenverzeichnis, da mit «Albisgüetli» als Alternativschreibweise die Haltstelle «Albisgütli» auch gefunden wird. Die Schreibweise «Albisgüetli» ist heute allgemein akzeptiert und wäre auch absolut verkehrsfähig. Der Grund, dass zwei Schreibweisen «Albisgüetli» und «Albisgütli» existieren, dürfte darin liegen, dass eingebürgerte und für Objekte wie Strassen und Bauten als Identifikation verwendete Namen weiterhin Bestand haben, auch wenn der Name auf einer Landeskarte geändert wird. «Albisgütli» war 1881 auf der Siegfriedkarte als Siedlungsname kartiert und wurde 1955 in die mundartliche Form «Albisgüetli» geändert.
Albisgütli auf der Siegfriedkarte 1881 | Albisgüetli auf der Landeskarte ab 1955 |
Beim Beispiel Albisgütli/Albisgüetli, wo beide Schreibformen gleichberechtigt existieren, handelt es sich um einen Spezialfall, welcher die Auswirkung der Änderung der Schreibweise von Örtlichkeitsnamen zeigt.
Weitere Beispiele
Es existieren diverse weitere Beispiele in der Gegenwart und aus der Vergangenheit von unterschiedlichen Schreibweisen von Örtlichkeiten, die auf die Zeit von ca. 1950-1970 zurückgehen. Jedes Beispiel muss für sich betrachtet werden und der geschichtliche Ablauf analysiert werden. In verschiedenen Fällen konnte durch Rückänderungen auf die ursprüngliche Schreibform eine einheitliche Schreibweise einer Örtlichkeit erreicht werden siehe z.B. hier.
Umsetzung der Weisungen 2011
Verordnung über geografische Namen (GeoNV)
Auch wenn die Weisungen 2011 weitgehend identisch mit Weisungen 1948 sind, spielt der Umstand, dass Weisungen 2011 unter der Vorordnung über die geografischen (GeoNV) stehen, eine besondere Rolle:
Art. 4 Grundsätze GeoNV
1. Geografische Namen sind einfach schreib- und lesbar und werden allgemein akzeptiert.
2. Sie werden, soweit möglich und sinnvoll, in Anlehnung an die Standardsprache (Schriftsprache) der Sprachregion formuliert.
3. Geografische Namen und ihre Schreibweise dürfen nur aus öffentlichem Interesse geändert werden
Erläuterungen zu Absatz 2 aus Kap. 2.1 «Allgemeine Grundsätze» der «Empfehlungen zur Schreibweise von Gemeinde- und Ortschaftsnamen, Richtlinien zur Schreibweise von Stationsnamen» Mit «Anlehnung an die Standardsprache» wird einerseits die traditionelle, meist an der Standardsprache ausgerichtete Schreibweise verstanden und andererseits, dass die Schreibweisen von Mundartnamen sich möglichst an das Schriftbild der Standardsprache anlehnt.
Harmonisierung der Schreibweise von geografischen Namen
Weisungen 2011 propagieren im Artikel 4 zur Harmonisierung der Schreibweise von Lokalnamen mit anderen geografischen Namen:
Artikel 4 Weisungen 2011
Die Schreibweise der Lokalnamen und die Schreibweise anderer geografischen Namen sollen nach Möglichkeit harmonisiert werden.
Kommentar:
- Es wird im obigen Artikel nicht darüber ausgesagt, ob die Schreibweise der Lokalnamen anderen geografischen Namen angepasst werden soll oder umgekehrt. Die Schreibweise eines Lokalnamens kann grundsätzlich dann problemlos für andere geografische Namen verwendet werden, falls das Schriftbild sich genügend an das vertraute Schriftbild der Schriftsprache anlehnt. Eine Harmonisierung ist vielfach eine Ermessensfrage.
- Beispiel Harmonisierung Böhni / Böni: der Name «Böhni» und «Böni» konnte harmonisiert werden. Der Prozess dauerte jedoch sehr lange und war mit viel Aufwand verbunden.
- Wichtig ist auch der Wille zu einer Harmonisierung und auch der Beizug von Spezialisten wie Sprachwissenschaftler, Namenforscher und Historiker (vgl. dazu auch Artikel «Über die Sammlung und Erforschung der deutschschweizerischen Orts- und Flurnamen» von Bruno Boesch, 1946, Schweizerisches Archiv für Volkskunde).
- Diverse aktuell unterschiedliche Schreibweisen von Örtlichkeiten befinden sich im Prozess einer Harmonisierung. Eine Harmonisierung dauert eine gewisse Zeit, bis alle Pläne und Karten nachgeführt sind.
Weitere Überlegungen dazu vgl. Seite «Zusammenspiel Lokalnamen». sowie nächstes Kapitel.
Grenzzone zwischen mundartlicher Schreibung und schriftlichem Sprachgebrauch
Allgemeines
Grundsätzlich sind nach Weisungen 1948 und Weisungen 2011 geschriebene Lokalnamen verkehrsfähig und es können daraus Namen wie z.B. Strassen- und Stationsnamen abgeleitet werden, sofern sich das Schriftbild möglichst gut an das Schriftbilder der Schriftsprache anlehnt.
Als Gebrauchsnamen sind unproblematisch Namen wie z.B. Büel (anstelle Bühl), Loo (anstelle Loh) Böni (anstelle Böhni), eher problematisch sind dagegen Schreibweisen wie Ror (anstelle Rohr vgl. Schilfrohr), Mos (anstelle Moos), Re/Ree (anstelle Reh), in welchen die schriftsprachliche Schreibung verbreitet sind. Meist spielt auch der Kontext eine Rolle, ob es sich um Örtlichkeiten mit einer nur lokalen oder einer über die Gemeinde hinausgehende Bedeutung handelt.
Die Seite Mundart in Lokalnamen enthält eine statistische Zusammenstellung, wie weit Mundart in Lokalnamen verbreitet ist und wie weit Mundart in abgeleiteten Namen enthalten ist.
In der Schweiz lehnen sich grundsätzlich Flurnamen an die Mundart, Strassen- und Haltestellennamen dagegen an die Standardsprache an. Dies hängt damit zusammen, dass Flurnamen vielfach nur eine lokale Bedeutung, Strassen sowie Stationsnamen dagegen eine grössere als nur eine lokale Bedeutung aufweisen. Trotzdem existieren in der Schweiz zahlreiche Beispiele, wo Strassen- und Stationsnamen mundartlich geschrieben werden, resp. wo Flurnamen, obschon diese als solche nur lokale Bedeutung aufweisen, standardsprachlich ausgerichtet sind. In diesen Fällen besteht eine Harmonie zwischen der Schreibweise der einzelnen Klassen von geografischen Namen, d.h. eine Örtlichkeit weist eine einheitliche Schreibweise auf. Dies ist für geografische Namen als Geoinformation von grosser Bedeutung, da heutige GIS-Systemen verschiedene Klassen von geografischen Namen gleichzeitig darstellen und es bei der Suche von Vorteil ist, dass sich ein Nutzer sich nicht überlegen muss, welchen Typ von geografischen Namen er sucht. Eine Harmonisierung der Schreibweisen ist zudem von Vorteil, da sich die Bedeutung der verschiedenen Typen von geografischen Namen überlappen (Beispiele: Lokalnamen und Gebäudeadressen wie benannte Gebiete und Strassennamen, welche den Lokalnamen direkt übernehmen, also ohne –strasse, -weg usw. Ein ähnliches Spannungsfeld besteht bei Örtlichkeiten als Ausprägung Siedlungsname, Flurname resp. Gebäudeadresse.
Zur Harmonisierung, wann und wie harmonisiert werden soll, können keine Patentlösungen formuliert werden, da dies z.B. von folgenden Punkten abhängen:
- Kanton
- Städtische Gebiete, Agglomeration, ländliche Gebiete
- Geschichte der Örtlichkeit
- Grad der Anlehnung der Schreibweise von Lokalnamen an die Standardsprache (Kantone, in welchen bei Lokalnamen das Endungs -n schreiben, haben für eine Harmonisierung der Schreibweise von Örtlichkeiten wesentlich weniger Probleme als Kantone, in welchen das –n nicht geschrieben wird (vgl. hier)
Bei der Frage, ob eine Harmonisierung sinnvoll ist, spielt der Umstand eine Rolle, ob die Änderung der Schreibweise von geografischen Namen mit viel Aufwand verbunden. ist. Gemäss GeoNV Art. 4 soll eine Änderung der Schreibweise nur bei öffentlichem Interesse erfolgen. Vielfach ist eine Änderung (vielfach Rückänderung) eines Flurnamens in die standardsprachliche Ausrichtung mit weniger Anpassungsaufwand verbunden, als bei der Anpassung von anderen geografischen Namen (bei einr pragmatisch ausgerichteten Nomenklaturkommission dürfte die Zurückhaltung zu einem solchen Schritt kleiner sein als wenn dies weniger zutrifft).
Beispiel Gemeinde Zollikon
Eine in Hinblick auf die Erkundung historisch Sachverhalte interessante Publikation «Zolliker Lokal- und Strassennamen» aus dem Jahr 1965 ist auf der Home Page der Gemeinde Zollikon downloadbar. Es ist sehr zu begrüssen, dass der damalige Gemeinderat das Thema Schreibung von Lokal- und Strassennamen 1965 ganzheitlich angesehen hat und eine Überprüfung vornahm.
1955 erfolgte auf der neuen Landeskarte die Umstellung der Orts- und Flurnamen in Mundart. Schon 1965 waren in Zollikon zahlreiche Strassennamen von Flurnamen abgeleitet worden und es stellte sich die Frage, ob diese an die Mundart angepasst werden sollten.
Zitat aus «Zolliker Lokal- und Strassennamen» Kap. 3.2 Grundsätzliches zur Schreibweise (Seite 11):
Die (damalige) kantonale Nomenklaturkommission plädiert grundsätzlich dafür, dass auch die Strassennamen (wie die Lokalnamen) möglichst in der Mundart geschrieben werden; sie schlägt u.a. vor, die bisherige Schreibung Sägegasse in Sagigass umzuändern. In der Praxis dürfte es indessen, vor allem wegen der im Post- und Telefonverkehr auftretenden orthographischen Probleme (alphabetische Strassenverzeichnisse u.a.), schwer halten, dieser Forderung konsequent Rechnung zu tragen. Sie würde in Zollikon die Abänderung einer ganzen Reihe bisheriger Strassennamen bedingen (z.B. Rotfluestrasse, Neuhusstrasse, Höchistrasse usw.). Vielmehr empfiehlt sich eine Lösung, wie sie die Stadt St. Gallen 1963 nach den Vorschlägen der städtischen Namenkommission (Vorsitz: Prof. Dr. Hans Hilty) zur allgemeinen Zufriedenheit durchgeführt hat. So sollen Lokalnamen, die als Strassennamen dienen, in der ortsüblichen Sprechform, d.h. in einer mundartnahen Schreibung, wiedergegeben; für eigentliche Strassennamen soll dagegen in der Regel die schriftsprachliche Form verwendet werden (Vorwort zum Verzeichnis der Strassen- und Flurnamen der Stadt St. Gallen 1963).
Die damalige Entscheidung der Gemeinde Zollikon deckt sich etwa mit der Empfehlungen Gebäudeadressierung und Schreibweise von Strassennamen für die deutschsprachige Schweiz des Bundesamtes für Landetopografie (Kap. 3.1.6 neue Strassennamen: Strassennamen in Mundart-Schreibweise sind allgemein schlecht verständlich, besonders auch für Personen aus anderen Landesteilen und für Fremdsprachige; Mundartschreibweise ist deshalb grundsätzlich nicht zu empfehlen.
Auch heute noch leiten sich viele Strassennamen in der Gemeinde Zollikon von Lokalnamen ab und die meisten stimmen dank Weisungen 1948 resp. Weisungen 2011 mit der Schreibung der Lokalnamen überein. Im Wesentlichen weichen in Zollikon nur folgende Strassennamen von der Schreibweise der Lokalnamen (in Klammern) ab:
- Rebwiesstrasse (Rebwis), Rüterwiesstrasse (Rüterwis), Wieslerstrasse (Wisler)
- Niederfelbenweg (Niderfelben)
- Buchholzstrasse (Buechholz), Oberhubstrasse (Oberhueb)
- Breitackerstrasse (Breitacher)
- Neuhausstrasse (Neuhus), Trichterhauser Strasse (Trichtenhusen)
- Die an die Mundart sich anlehnende Strassenbezeichnung «Chleidorf» von 1965 konnte in der Gemeinde Zollikon nicht aufrechterhalten werden Die Schreibweise hat später zu «Kleindorf» gewechselt.
- 1965 bestand im Duden noch keine Sonderregelung für die Schweiz für geografische Namen auf -er, sodass in Zollikon folgende Strassennamen in zwei Wörtern geschrieben werden («Trichtenhauser Strasse», «Zolliker Strasse» und «Zumiker Strasse» (welche z.B. auf local.ch zur besseren Auffindung in einem Wort geschrieben werden. «Witelliker Strasse» und «Witelliker Weg» wurden seit 1965 in der amtlichen Vermessung inzwischen auf «Witellikerstrasse» und «Witellikerweg» geändert.
Für neue Strassen wäre durchaus denkbar z.B. eine «Buechholzstrasse» oder eine «Neuhusstrasse» zu verwenden.
Beispiel Stadt Wädenswil
In der Stadt Wädenswil besteht eine sehr hohe Übereinstimmung der Schreibweise von Lokal- und Strassennamen (vgl. hier).. Die Schreibweise der Lokalnamen erfolgt nach Weisungen 1948 resp. Weisungen 2011. Die zürcherische Nomenklaturkommission verfolgt gegenüber den Gemeinden eine pragmatische Haltung und achtet bei der Schreibweise von Lokalnamen auf eine Harmonie zu anderen Namen (vgl. hier).
Siehe auch
- Chronologie und Geschichte der Schreibweise von Lokalnamen
- Historische Texte zur Schreibung der Lokalnamen
- Zusammenspiel Lokalnamen
- Geografische Namen in den Medien
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